Der nasse Fisch
eine nasse Haarsträhne in die
Stirn hing. Die Haut schimmerte feuchtglänzend im Blitzlicht. Das waren tatsächlich Tatortfotos.
Königs Frauen machten ihnen Arbeit. So eisern sie bislang geschwiegen hatten, so sehr sprudelte es jetzt aus ihnen heraus.
Das hatten sie einem Neuzugang zu verdanken, einem Teil der Ernte, die sie nach dem Zusammenbruch des Alten Fritz eingefahren
hatten. Anders als die Männer in Königs Fotogeschichten, die ihre Rolle der Ähnlichkeit mit prominenten Preußen verdankten,
waren die Damen allesamt Profis: Prostituierte von den Linden oder der Friedrichstraße. Vier Frauen hatten sie nach den sichergestellten
Fotos einwandfrei identifizieren können und in die Mangel genommen. Der Durchbruch kam, als es Rath gelang, Sylvia Walkowski,
genannt Kreisch-Sylvie, weiszumachen, sie habe ihre Verhaftung allein der Redseligkeit der roten Sophie zu verdanken, bürgerlicher
Name Sophie Ziethen. Jener Dame, die am Tage der Razzia in der Rolle der Mata Hari brilliert hatte.
Und dann hatte es kein Halten mehr gegeben. Als Sophie erfuhr, dass Sylvie geplaudert hatte, packte sie tatsächlich aus. Das
wiederum machte andere Damen in den Nachbarzellen sauer. Und so hatten sie nach und nach erfahren, dass die meisten Damen
der König-Truppe ihr Geld nicht nur mit Prostitution und Pornographie verdienten, sondern auch in illegalen Nachtlokalen –
die meisten mit einfachem Nackttanz. Zwei arbeiteten im Pegasus , dessen Spezialität darin bestand, dass dort Damen in den Uniformen der diversen preußischen Kriege paradierten – unten ohne –, während die Herren im Publikum Orden an die rundesten Körperstellen
heften durften. Momentan saßen die Damen alle im Polizeigewahrsam und waren damit beschäftigt, sich gegenseitig die Pest an
den Hals zu wünschen. Die Aufseherinnen im Frauentrakt waren nicht zu beneiden, Kreisch-Sylvie machte ihrem Namen alle Ehre.
Acht illegale Nachtlokale standen auf ihrer Liste, Adressen in allen Teilen der Stadt. Jede Menge Arbeit lag vor ihnen. Weitere
Informationen mussten unauffällig gesammelt, die Razzien vorbereitet und geplant werden. Sie wollten die Lokale alle an einem
Abend ausheben, bevor sich die Aktion in der Szene herumsprechen konnte.
»Wie in den alten Zeiten«, freute sich der Onkel, nachdem er gerade mit Lanke telefoniert und um die Bereitstellung von rund
zwanzig Lastwagen am nächsten Sonnabend gebeten hatte. »Solche Aktionen hat’s früher regelmäßig gegeben. Damals haben wir
die Leute lastwagenweise zum Alex gekarrt. Und im großen Konferenzsaal, genau da, wo Dörrzwiebel eben seine Predigt gehalten
hat, da wurde dann die Spreu vom Weizen getrennt.« Er rieb sich die Hände.
»Mit Lastern zu den Lasterhöhlen«, kalauerte Jänicke.
Die Kollegen lachten.
»Jawoll«, meinte Wolter, »aber bis dahin ist noch viel zu tun. Keine Zeit, nach irgendwelchen Toten zu fragen. Soll die Inspektion
A ihren Scheiß doch allein machen, dafür wird sie schließlich bezahlt!« Er nahm das Foto, das er eben im Konferenzsaal bekommen
hatte, riss es mitten entzwei und warf es in den Papierkorb. Jänicke hatte sein Foto beim Hereinkommen achtlos auf den Schreibtisch
gepfeffert. Rath hatte seines noch in der Jackentasche stecken. Und er hatte nicht vor, es wegzuwerfen.
Bruno warf ihm einen Seitenblick zu. Doch er sagte nichts und hängte sich wieder ans Telefon. Der Kollege war nicht blöd.
Rath glaubte jedoch nicht, dass der Onkel bei seinem gestrigen Überraschungsbesuch Verdacht geschöpft hatte. Rath war noch
neu inder Stadt, warum sollte er sich keinen Stadtplan in die Wohnung hängen? Und die Stecknadeln hatte Bruno von der Tür aus unmöglich
sehen können. Aber er wusste, dass Gereon Rath schon einmal als Mordermittler gearbeitet hatte.
Kurz darauf, als Jänicke das Büro verlassen hatte, nahm Wolter ihn beiseite.
»Hast du Blut geleckt, Gereon? Willst du den tollen Kerlen von der Mordkommission zeigen, dass du auch ein toller Kerl bist?«
Rath hatte nicht vor, sich einschüchtern zu lassen. Dass Böhm die Fotos hatte verteilen lassen, gab ihm endlich einen dienstlichen
Vorwand, in Sachen Boris weiter zu ermitteln. »Es gibt eine offizielle Anweisung des Polizeipräsidenten, die Inspektion A
in einem bestimmten Fall zu unterstützen«, sagte er und erschrak, wie bürokratisch er klang. »Und nicht mehr und nicht weniger
werde ich tun.«
»Mir brauchst du nichts zu beweisen, Gereon. Mir hast du gezeigt,
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