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Der Nazi & der Friseur

Der Nazi & der Friseur

Titel: Der Nazi & der Friseur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edgar Hilsenrath
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und Marmelade. Während ich frühstücke, verfärbt sich das Meer. Blau übertüncht rot. Rot versinkt im Blau.
    Sage zu mir: »Schade, daß man von dieser Sonnenter rasse ... den Wald der 6 Millionen nicht sehen kann!"
    Mein Kellner hat den Zucker vergessen. Er kommt noch einmal zurück, aber ich habe den Kaffee längst ausgetrunken.
    »Glauben Sie, daß in der Nacht wieder was los war, Herr Finkelstein?«
    »Möglich. Auf dem Herzl-Platz stehen Panzer. Sah heute früh auch welche in der König-David-Straße, Jabotinskystraße, Dritte-Tempel-Straße. Nicht nur an der Kreuzung. Und mehr als sonst. Sogar hier in der Ben-Jehuda-Straße stehen Panzer.«
    »Vielleicht haben die Terroristen wieder mal ein paar Engländer erschossen?«
    »Das ist möglich.«
    »Oder aufgehängt?«
    »Auch möglich.«
    »Schließlich hängen die Engländer auch Juden auf. Oder nicht?«
    »Natürlich.«
    »Unlängst haben die Engländer Moische Kaplan auf gehängt. Und Ben Gideon! Und Ben Arnos! Und Schloime Suppengrün! Vier Terroristen! Vier Volkshelden!«
    »Das stimmt.«
    »Na also. Für jeden aufgehängten Juden ... einen auf gehängten Engländer! Wir zahlen mit gleicher Münze zurück!«
    Ich sage: »Das stimmt nicht ganz. Wir bringen mehr um. Wir knallen die Engländer wie die Hasen ab. Ha ben Sie gestern keine Zeitung gelesen? Der Überfall auf Camp Ziona! 154 erschossene Engländer!«
    Mein Kellner grinst. Er sagt: »Im Kampf erschossen. Das ist was andres. Aufgehängt werden nicht viel. Nur ab und zu ... nur, wenn die einen von unseren Leuten aufhängen! Aufhängen ist eine Strafe!«
    Die Straßen von Beth David erwachen. Ich sehe eini ge Frühaufsteher. Das Grün der Eukalyptusbäume inder Ben-Jehuda-Straße wird zusehends heller von den stärker lachenden Sonnenstrahlen. Die weißen Häuser des Zentrums tauchen aus den Schatten auf und bieten der Sonne ihren Leib dar. Ich bitte meinen Kellner um ein paar palästinensische Zeitungen in jiddischer und deutscher Sprache, und während der fortgeht, schlürfe ich den Rest meines Kaffees aus.
    Die berüchtigten Terrororganisationen im Heiligen Lande sind: ›Sterngruppe‹ und ›Irgun Zwai Leumk Aber es gibt noch eine Menge kleinerer Terrorgruppen. Bei uns in Beth David regiert die Terrorgruppe ›Schwarz‹. Ihr Anführer Jankl Schwarz, im Volksmund: ›Jankele‹.
    Als mein Kellner mit den Zeitungen zurückkommt und den Stoß auf meinen Tisch legt, frage ich ihn: »Glauben Sie, daß Jankl Schwarz einen Engländer in einem Hinterhof aufhängen würde?«
    Mein Kellner sagt: »Unmöglich, Herr Finkelstein. Sowas würde Jankele nie machen. Wenn der einen auf hängt, dann bestimmt auf der Hauptstraße.«
    »Dritte-Tempel-Straße?«
    »Ja, und zwar am höchsten Eukalyptusbaum!«
    »Und warum nicht im Hinterhof? Und warum ausgerechnet auf der Hauptstraße? Und warum am höchsten Baum?«
    »Damit die Presse davon Wind bekommt«, sagt mein Kellner. »Und damit die Weltöffentlichkeit es erfährt. Sie verstehen, Herr Finkelstein ... es geht schließlich darum ... daß die Vereinten Nationen ... sich endlich mal auf den breiten Arsch setzen ... und eine Entscheidung treffen!«
    Wissen Sie, was das ist: die Weltöffentlichkeit? Das sind Milliarden verstopfter Ohren! Und wissen Sie, was ich zu mir gesagt habe? »Itzig Finkelstein«, hab ich zu mirgesagt. »Die Weltpresse muß ein lautes Geschrei machen! Sonst hört die Weltöffentlichkeit nichts. Und dein Kellner hat recht. Der Engländer kann nicht im Hinterhof hängen! Der kann nur in der Dritten-Tempel-Straße hängen! Du mußt dich getäuscht haben!«
    Ich blätterte den Zeitungsstoß durch. Die Nachrichten über den vergangenen Massenmord sind nicht mehr wichtig. Stehen auf der letzten Seite ... auch hier ... wie überall. Machte die üblichen Ausschnitte, steckte Berichte in meine Tasche, überflog dann die Titelseiten, mit den neuesten Berichten über den Aufstand und den Terror in Palästina ... und schickte mich dann zum Fortgehen an..
    Ich ging zu meinem Chef Schmuel Schmulevitch, um den Vorfall mit dem aufgehängten Engländer zu bespre chen.
    Schmuel Schmulevitch wohnt in der Scholem-Alechem-Straße. Ein berühmter ostjüdischer Dichter ... dieser Scholem Alechem. Ich ging langsam. Hatte ja Zeit. War ja Schabbat. Dachte an meinen Engländer. Dachte auch an die Geschichten von Scholem Alechem, die Itzig Finkelstein mir einst, unter anderem, vorgelesen hatte. Blieb kurze Zeit vor dem Denkmal an der Straßenkreuzung stehen: das Denkmal

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