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Der Nazi & der Friseur

Der Nazi & der Friseur

Titel: Der Nazi & der Friseur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edgar Hilsenrath
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Dachschaden. Schlechte Durchblutung. Ich muß immer erst ein bißchen meinen Schädel reiben ... mit meinen Massenmörderhänden ... ehe ich funktioniere. Und das auch nicht richtig.
    Ich gähnte zuerst im Halbschlaf, streckte mich, rieb die bestimmte Stelle am Schädel, streckte Rücken und Arme, dann die Beine, zuletzt die Plattfüße, bewegte dieselben oder selbige sogar hin und her, blinzelte, zuerst mit dem linken Auge, dann mit dem rechten, guckte die Zimmerdecke an, dachte: das ist die Zimmerdecke eines Hotelzimmers!
    Und dann sah ich den Engländer!
    Wenn Sie glauben, daß ich wie elektrisiert aufsprang, so ähnlich wie damals im polnischen Wald, auf dem Lastauto, als es knallte ... aus dem Wald ... und ich run tersprang ... vom Lastauto ... und rannte ... als hätte ich, Max Schulz eine Zündschnur im Arsch ... dann haben Sie sich gründlich geschnitten.
    In gewissen Situationen bewahre ich ruhiges Blut. Ich stand gemächlich auf, rieb mir den Schlaf aus den Augen, schlurfte zum Fenster ... das Fenster meines Hotelzimmers ... schubste den Engländer etwas ... aber nicht zu sehr ... nur ein bißchen ... und sagte zu mir: »Itzig Finkelstein! Damit hast du nichts zu tun! Die können dir so was nicht in die Schuhe schieben. Du hast ihn nicht aufgehängt. Und außerdem: Du hast ein Alibi! Kein Mörder wird sein Opfer vor sein eigenes Fenster hängen! Das ist doch klar!«
    Ich zog mich an und ging auf die Straße. Ich dachte nach: Mein Fenster ging auf den Hinterhof hinaus. Wahrscheinlich ein Grund, warum man den Engländer noch nicht entdeckt hatte. Es war noch sehr früh am Morgen, und in den anderen Zimmern, deren Fenster auf den Hinterhof hinausgingen, schlief noch alles. -Mein Fenster war parterre. Praktisch für den Henker. Kein Grund zum Klettern. - Wer konnte das gemacht haben? Jüdische Terroristen? Klar. Wer sonst? Damit hatte ich nichts zu tun.
    Während ich über die Straße ging, fiel mir ein, daß heute Samstag war. Hier ist am Samstag alles geschlossen. Auch unser Salon. Folglich brauchte ich heute nicht zu arbeiten. Ich beschloß, im Cafe Trumpeldor zu frühstücken, in der Ben-Jehuda-Straße.
    Ich habe mir einen Tisch auf der Sonnenterrasse gewählt ... der Sonnenterrasse des Cafe Trumpeldor. Die ist berühmt wegen des Ausblicks. Man kann da allerhand sehen, zum Beispiel: die Autobusstation! Eine ganz gewöhnliche Egged-Autobusstation. Dahinter eine Barackenstraße, wo die Neueinwanderer wohnen. Dürftige Holzhäuschen sind das, mit Dächern aus Wellblech und trüben Kleinfensteraugen, die mit verhaltenem Neid auf die schönen, neuen Häuser von Beth David blicken ... die Häuser auf der anderen Seite der Egged-Autobusstation. Ein Glück, daß ich nicht dort wohnen muß, denn ich, Max Schulz oder Itzig Finkelstein, habe noch schwarze Dollars im Koffer. Und eine feste Stellung.
    Im Süden der Stadt wird gebaut. Beth David wird nämlich vergrößert. Eines Tages werden wir Tel Aviv überflügeln. Da bin ich ganz sicher. Eines Tages werden die Neueinwanderer ihre Baracken verlassen und in den neuen Gebäudekomplex ziehen. Wann das sein wird? Eines Tages. Ich nehme an: nach dem Abzug der Engländer, nach der Errichtung des Judenstaates.
    Heute ist Samstag ... Sabbat ... oder wie das auf hebräisch heißt: Schabbat. Die Baustellen schlafen. Die Gerüste sind verlassen. Überall herrscht Schabbat. Die Geschäfte sind zu, sogar die Autobusse der Egged-Autobusstation ruhen sich aus.
    Am Schabbat erwacht die Stadt später als sonst. Es ist noch früh am Morgen. Die Straßen liegen wie leblos da, aber das stimmt nicht ganz, denn die Straßenaugen blin zeln bereits. Ich bemerke: Ecke Ben-Jehuda-Straße ... zwei englische Panzer. Soldaten, zigarettenrauchend auf dem Turm. Etwas später: ein Jeep! Ob die das wissen? Von meinem Engländer! Ich bin der erste Gast im Cafe Trumpeldor . Der Kellner sieht verschlafen aus. Er kennt mich.
    »Einen Kaffee mit Sahne, Herr Finkelstein?«
    Ich sage: »Ja. Mit Sahne.«
    »Einen Orangensaft? Zwei Eier? Toast?«
    Ich sage: »Nein. Geben Sie mir ein ganz gewöhnliches vitamin- und proteinarmes deutsches Frühstück. Kaffee mit Sahne, Buttersemmel und Marmelade!«
    Ich strenge meine Froschaugen an, lasse Froschblicke in die Ferne schweifen: dort sind Dattelpalmen und dort ist das Meer, rot vom Blut meines Engländers. Eigentlich müßte das Meer blau sein, denn ich sage zu mir: »Itzig Finkelstein. Das Blut der Engländer ist blau.«
    Mein Kellner bringt Kaffee, Buttersemmeln

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