Der Nazi & der Friseur
Hinterhof, schauten nach. Der Engländer war weg. Später gingen wir in die Dritte- Tempel-Straße. Und dort war ein Menschenauflauf. Wir konnten nicht viel sehen. Die Straße war verstopft von Neugierigen, Jeeps, Polizei, Militär. Ich fragte eine Frau am Straßenrand. Und die Frau sagte: »Dort hing ein Engländer. Haben ihn schon losgehakt. Ein Engländer mit einem Zettel auf der Brust.«
Ich fragte: »Was stand auf dem Zettel?« Und die Frau sagte: »Schloime Suppengrün ist gerächt!"
11.
Was macht ein Junggeselle über 40, einer, der am Sams tag nicht raucht, weder Eisenbahn noch Auto fährt - nur, wenn es nicht anders geht - der noch nicht lange hier ist, keine Damenbekanntschaften hat - was macht so einer an einem freien Tag?
Er könnte zum Fußballspiel gehen: Makkabi Tel Aviv gegen Hakoa Beth David, Max Nordau Stadion hinter dem Herzlpark. Er könnte baden gehen, fette und magere Schenkel begutachten, im Glücksfall einen anfas sen, im Wasser, sozusagen zufällig, er könnte die Sonne anstarren, er könnte Spazierengehen, zum Beispiel: zum Wald der 6 Millionen ... drei Kilometer von hier ... aber das ist ein Wald ohne Schatten, denn die angepflanzten Bäume sind noch niedrig ... die müssen erst wachsen ... tüchtig wachsen. Er könnte wieder ins Cafe Trumpeldor gehen, sich mit dem Kellner unterhalten, Kaffee trinken.
Auf dem Weg zum Cafe Trumpeldor dachte ich an Hanna Lewisohn. Spürte plötzlich Magenstechen. Konnte die Vorstellung nicht loswerden: Hanna ist etwas pas siert!
Ich machte kehrt und ging in Richtung Egged-Autobusstation.
Mir war heiß. Khakihose und Khakihemd klebten am Körper. Mein Spitzbart war naß, Brillengläser angelaufen, Froschaugen entzündet, hatte rote Flecken in denAchselhöhlen und zwischen den Schenkeln, wußte das, obwohl ich das Rot nicht sehen konnte. Aber das juckte!
Ich, Itzig Finkelstein, ging ... also ... in Richtung Egged-Autobusstation. Hab zu mir gesagt: »Itzig Finkelstein! Du fährst zwar nicht am Sabbat. Aber das ist ein Notfall. Hanna ist was passiert!«
Dann fiel mir ein, daß die Autobusse heute nicht fah ren ... denn wir, hier in Beth David, haben mit dem lieben Gott einen Vertrag geschlossen: Kein fahrender Autobus wird den heiligen ›Schabbat‹ entweihen! Nur Privatautos und Taxis! Denn das ist privat!
Machte wieder kehrt und ging in Richtung Taxistand. Der war am Herzlpark.
An einem Fußballtag ist es nicht leicht, ein Taxi zu finden. Glück muß der Mensch haben. Fand ein Taxi. Stieg ein. Sagte: Kibbuz Pardess Gideon, Strecke Haifa- Tel Aviv. Aber mit Volldampf.
Was habe ich Ihnen gesagt! Hanna ist was passiert! Im Kibbuz Pardess Gideon erhielt ich folgende Auskunft:
»Verrückt geworden!«
Ich sagte: »Die war immer verrückt!«
»Aber nicht so!«
Ich fragte: »Wieso?«
»Zusammengeklappt. Die fing plötzlich zu schreien an. Tag und Nacht.«
»Und wo ist sie jetzt?«
»Wurde abgeholt. Heilanstalt Guggenstein! Tel Aviv!«
Selbstverständlich bin ich gleich hingefahren. Aber man ließ mich nicht rein. Einer der Krankenwärter gab mir freundlichst Auskunft: »Die können Sie nicht sehen!"
»Ich heiße Itzig Finkelstein. Die kennt mich!«
»Die können Sie nicht sehen, Herr Finkelstein. Die liegt in einer Zwangsjacke!«
Ich fragte: »Zwangsjacke?«
Und der Wärter sagte: »Zwangsjacke!«
Wir unterhielten uns dann ganz gemütlich, der Wärter und ich.
Ich sagte: »Hanna war während des Krieges drei Jahre lang an eine Bank gefesselt.«
Der Wärter sagte: »Das hat sie sich nur eingebildet. Die war bloß versteckt. So wie andere auch.«
»Sie war drei Jahre lang gefesselt. Und jetzt ist sie in einem jüdischen Land ... und wird wieder gefesselt.«
»Da kann ich nichts machen, Herr Finkelstein. Die wollte nämlich fliegen!«
»Wohin fliegen?«
Der Wärter sagte: »Vom Dach der Klinik Guggenstein auf den Johannisbrotbaum vor dem Einfahrtstor!«
Ich fragte: »Wie ein kleiner Vogel?«
Und der Wärter sagte: »Ja. So wie ein kleiner Vogel!«
Mein Taxi wartete vor der Klinik Guggenstein. Sagte zu meinem Taxichauffeur: »Fahren Sie mich ins nächste Bordell!«
»War das so schlimm?« fragte mein Taxichauffeur.« Ich nickte und sagte: »Ja. Das war schlimm.« Wir schlängelten uns durch den Tel Aviver Straßenverkehr, krochen vorwärts, stießen ruckartig, mit krei schenden Bremsen durch Staubwolken und Sonnenlicht, reihten uns hinter kleinen Privatfahrzeugen ein und unbekümmerten Fußgängern, die es vorzogen, auf dem Fahrweg
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