Der Nazi & der Friseur
Diskussio nen über das Volk der Juden?«
»Ich wußte nicht, daß Sie, Herr Finkelstein, mit der Frau Gräfin über das Volk der Juden diskutieren. Ich höre nie zu. Das geht mich doch nichts an.«
»Erzählen Sie keine Geschichten. Sie hören natürlich zu.«
»Ich höre nicht zu, Herr Finkelstein.«
»Ich frage Sie nicht als Butler, sondern als Privatmann ... das ist ein Gespräch von Mensch zu Mensch. Oder Mann zu Mann.«
»In diesem Fall, Herr Finkelstein ... würde ich als Privatmann sagen, daß Sie, Herr Finkelstein, einen typisch jüdischen Minderwertigkeitskomplex haben.«
»Und warum würden Sie das sagen ... ich meine ... als Privatmann?«
»Weil Sie prahlen, Herr Finkelstein.«
»Mit meinem Volk?«
»Ja. Mit Ihrem Volk!"
»Es bleibt mir doch nichts anderes übrig. Oder?«
»Das stimmt nicht, Herr Finkelstein. Als Privatmann würde ich sagen: Herr Finkelstein! Ein Jude, der stolz auf sein Volk ist, bleibt nicht in Deutschland. Der würde hier gar nicht leben. Und er würde auch nicht versuchen, uns Deutsche zu überzeugen ... ich meine ... mit großen Worten.«
»Und was würde ein stolzer Jude tun?«
»Auswandern, Herr Finkelstein.«
»Nach Amerika?«
»Nicht nach Amerika, Herr Finkelstein. Ein stolzer Jude würde nach Palästina auswandern. Wenn ich nicht irre, ist dort ein Guerillakrieg. Nehmen Sie ein Gewehr in die Hand, Herr Finkelstein. Kämpfen Sie für Ihr Land. Zeigen Sie der Welt, was ein stolzer Jude ist!«
Mein Chauffeur ist krank. Sein Stellvertreter, ein hagerer, langer Kerl mit kleinen, lustigen Säuferaugen, erinnert mich irgendwie an einen meiner fünf Vater, an den Kutscher Wilhelm Hopfenstange.
Unlängst, als wir im schwarzen Mercedes zur Stadt fuhren, sagte der neue Chauffeur: »Herr Finkelstein, ich habe ein bißchen herumgeschnüffelt. Sie leben in einer antisemitischen Umgebung.«
»Ja. Das ist mir bekannt.«
»Gestern sagte die Köchin zum Butler: ›Möchte wissen, wie der Herr Itzig Finkelstein das KZ überlebt hat!‹
Und der Butler sagte: ›Ja. Ich auch.‹
Und die Köchin sagte: ›Mein früherer Herr war ein jüdischer Universitätsprofessor. Den hat der Hitler umgebracht.‹
Und der Butler sagte: ›Ja. Das ist schade.‹
Und die Köchin sagte: ›Die anständigen Juden sind tot, und so einer wie der Itzig Finkelstein lebt.‹ Und der Butler sagte: ›Ja. Das ist mal so. Was primi tiv ist, überlebt leichter.‹
Und die Köchin sagte: ›Der Hitler hat die falschen Juden vergasen lassen. Er hätte lieber den Itzig Finkel stein und Leute von seinem Schlage vergasen sollen.‹
Und der Butler sagte: ›Ja. Oder erschießen. Oder erhängen. Oder erschlagen.««
War heute in der Synagoge. Habe fleißig gebetet. Während der Gebetspausen ... der offiziellen ... sprach ich mit meinem neuen Gott deutsch. Sagte zu ihm: »Lieber Gott. Ich weiß nicht, wo du bist, ob im Himmel oder bloß auf meiner Zunge. Aber das ist mir schnuppe. Möchte trotzdem zu dir reden. Also, hör mal zu: Ich, Itzig Finkelstein, kämpfe täglich mit meinem Personal und mit meiner Mätresse, die eigentlich keine Mätresse ist, aber meine Geschäftspartnerin, denn ich kriege durch sie fantastische Verbindungen und mache Millionengeschäfte. Aber das wollte ich gar nicht sagen. Wollte bloß sagen, daß ich mich ununterbrochen gegen antisemitische Angriffe verteidigen muß. Ich bin verzweifelt. Sie wollen in meinem eigenen Hause meine Menschenwürde zertreten. Bin ich deshalb Jude geworden? Ich dachte, die Juden hätten den Krieg gewonnen!«
B ERLIN 1947
Die Gräfin hat mein ganzes Vermögen in ein einzigartiges Geschäft investiert. Erklärte mir heute beim Mittag essen:
»Herr Finkelstein. Es handelt sich um den größten Waffenschmuggel der Geschichte."
Ich fragte: »Und wenn das schiefgeht?«
Die Gräfin: »Und warum sollte das schiefgehen? Sie sehen, Herr Finkelstein, ich beantworte eine Frage mit einer Frage. Das ist Ihr jüdischer Einfluß! So weit ist es schon gekommen!«
Der größte Waffenschmuggel der Geschichte! Wenn das Geschäft klappt ... und warum sollte es nicht klap pen? ... dann werde ich, Itzig Finkelstein, meine Tätigkeit als Schwarzhändler ein für allemal einstellen, denn: ich, Itzig Finkelstein, werde dann einer der reichsten Männer im Nachkriegsdeutschland sein; mein Vermögen, in Zah len umgerechnet, wird aus noch mehr hinter Ziffern angehängten Nullen bestehen, als es schon besteht.
Heute erfuhr ich, daß einige unserer Verbindungsleu te in der
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