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Der Nazi & der Friseur

Der Nazi & der Friseur

Titel: Der Nazi & der Friseur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edgar Hilsenrath
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Erbe unserer Väter? Unser Bund mit Gott? Unser Leid? 2000 Jahre Verfolgung? Unsere Sehnsucht nach Jerusalem?
    Beim gemeinsamen Abendessen verlangte ich von Max Rosenfeld eine Antwort. »Haben wir uns an unserem Seelengeruch erkannt oder nicht? Ich fragte Sie bereits während des Frühstücks.«
    Max Rosenfeld sagte: »Am besten ... wir lassen das Wort ›wir‹ weg.«
    »Wie meinen Sie das?«
    Max Rosenfeld sagte: »Ich meine das so: Wir haben uns nicht erkannt! Vielmehr - ich habe bloß Sie erkannt. Und da blieb Ihnen nichts anderes übrig, als mich auch zu erkennen.«
    Ich sagte: »Ach so.«
    Und Max Rosenfeld sagte: »Ja.«
    Und ich sagte: »Und wie haben Sie mich erkannt? An meinem Seelengeruch?«
    Max Rosenfeld schüttelte den Kopf. »Nicht am See lengeruch, Herr Finkelstein. Bloß an Ihrer Fresse!«
    Max Rosenfeld sagte das scherzhaft, zwinkerte mir zu, lachte, wurde dann wieder ernst, sagte: »Nicht böse sein!«
    Konnte nicht schlafen. Stand kurz vor Mitternacht auf. Stellte mich vor den Wandspiegel hin, sagte zu mir:»Itzig Finkelstein. So sieht kein Jude aus. Das ist bloß ein Zerrbild. Aber sie glauben daran. Sogar Max Rosen feld. Man hat ihnen das eingeredet. Was ist das nur?«
    Legte mich wieder hin. Versuchte zu schlafen. Konnte nicht. Stand wieder auf. Machte Tagebucheintragungen. Dachte: Es ist bereits nach Mitternacht. Du mußt doch das Datum ändern! Dachte: Zum Teufel mit dem Datum!
    Stand wieder vor dem Wandspiegel. Dachte verzweifelt: Vielleicht hat er dich an deinen Augen erkannt? - suchte etwas in meinen Augen ... suchte die jüdische Seele ... konnte sie nicht finden.
    Lange stand ich so vor dem Spiegel an der Wand. Sagte zu mir: »In deinen Augen, Max Schulz, steht keine Volksseele, weder die jüdische noch eine andere, nicht mal die deutsche. Das sind doch bloß Froschaugen!"
6.
    Ich mache wieder Kleinarbeit auf dem Schwarzmarkt. Vorläufig nur Vermittlungsgeschäfte. Mein Lebensmut wächst von Tag zu Tag. Ob ich mich wieder hocharbei ten werde?
    Das schäbige Hotel ›Vaterland‹ ist ein ausgesprochen vaterländisches Hotel. Wer glaubt, daß die Gäste hier aus aller Herren Länder kommen, hat sich geschnitten. Außer uns beiden Juden wohnen hier nur Deutsche.
    Es hat sich natürlich schnell herumgesprochen, daß Max Rosenfeld und ich Juden sind. Trotzdem spüren wir hier nichts vom Antisemitismus. Im Gegenteil. Man respektiert uns. Wir scheinen eine Art Vorzugsstellung zu bekleiden.
    Ich habe festgestellt: Man katzbuckelt vor uns. Jeder! Das Hotelpersonal sowohl als die Hotelgäste. Was ist das eigentlich? - Die Leute ziehen den Hut vor uns, Mädchen machen einen Knicks, zuweilen auch ältere Damen. Beim Essen werden wir als erste bedient. Frühmorgens, beim Schlange stehen vor der einzigen Herrentoilette, macht man uns Platz: »Bitte sehr, Herr Rosenfeld ... bitte sehr, Herr Finkelstein ... Sie haben den Vortritt!«
    Max Rosenfeld findet all das ... ich meine: das sonderbare, absonderliche, befremdende, seltsame, eigenartige,  eigentümliche, ungewöhnliche, wunderliche,bizarre, kuriose Verhalten oder Benehmen der Hotelgäste und des Hotelpersonals im schäbigen aber vaterlän dischen Hotel ›Vaterland‹ uns gegenüber, das heißt ... mir, Itzig Finkelstein und ihm, Max Rosenfeld, gegenü ber, ganz natürlich. Sozusagen: in Ordnung!
    »Sehen Sie, Herr Finkelstein. Für mich ist das Hotel ›Vaterland‹ typisch ... Verkörperung eines Neuen Deutschlands, Herr Finkelstein, in seiner Beziehung zu seinen jüdischen Gästen. - Was sich hier widerspiegelt, lieber Finkelstein oder lieber Herr Finkelstein, ... das ist: Zeitgeist. Bloß Zeitgeist. Nichts weiter. - Wußten Sie das nicht?«
    Ich starrte Max Rosenfeld sprachlos an.
    »Sie scheinen offenbar nicht zu wissen, wo Sie sich befinden!«
    Ich sagte: »Im Hotel ›Vaterland‹.«
    Max Rosenfeld lachte. Ein mitleidiges Lachen. Kein Zweifel: der nimmt mich nicht für ganz voll!
    Ich wollte noch etwas sagen, vergaß aber, was ich sagen wollte, erinnerte mich dann an die antisemitischen Zahnärzte und Goldschmiede vom Jahre 1945, kurz nach dem Zusammenbruch, dachte einen flüchtigen Augenblick daran, schluckte den Gedanken herunter, hielt das nicht für wichtig, erzählte ihm dann nur von meinen Erfahrungen mit der Gräfin, erzählte ihm von der Villa, erzählte von meinem jüdischen Minderwertigkeitskomplex ...
    Er aber, Max Rosenfeld, lachte, lachte schallend. »Minderwertigkeitskomplex? Herr Finkelstein! Was reden Sie da für Unsinn! Wer

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