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Der Nazi & der Friseur

Der Nazi & der Friseur

Titel: Der Nazi & der Friseur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edgar Hilsenrath
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Militärregierung der Besatzungsmächte sitzen ... hier in Deutschland, in den verschiedenen Zonen ... andere im Ausland ... natürlich in Großstädten ... Zürich, Madrid, London, Paris, New York, Athen, Kairo, Tel Aviv, Damaskus.
    »Das ist der größte Waffenschmuggel der Geschich te!« Die Gräfin deutete so einiges an. Beutetanks aus der Rumpelkammer der Sieger des Zweiten Weltkrieges. Maschinengewehre! Munitionskisten! Panzerfäuste! Mörser! Handgranaten! Und noch viel mehr!
    Gesprächsweise fragte ich die Gräfin: »Soviel Geld habe ich doch gar nicht. Wer hat denn außer mir noch investiert?«
    »Noch einige Leute von Ihrem Schlag, Herr Finkelstein!«
    »Lauter Juden?«
    »Juden und Nichtjuden«, sagte die Gräfin. »Aber alle von Ihrem Schlag!«
    Kuriere! Kuriere! Post ohne Briefmarken! Die Gräfin rennt aufgeregt in der Villa herum, vergißt sichumzuziehen, hat blaue Schatten unter den Augen. Wie alt ist sie eigentlich? Ich selber, ich, Itzig Finkelstein, stelle fest: Mein Blutdruck steigt von Tag zu Tag. Meine Zukunft hängt an einem Faden. Entweder Multimillionär oder Bettler!
5.
    Gestern bin ich aus der Villa ausgezogen. So ist das. So und so und nicht anders. Das Leben ist unter anderem, oft und häufig, auch manchmal und zuweilen, sehr ironisch.
    Ich, Itzig Finkelstein, bin ruiniert. Habe noch sieben schwarze Dollars in meiner Tasche. In der Hosentasche, weil ich die Jacke oft ausziehe. Hose ist sicherer.
    Sie möchten natürlich gerne wissen, was passiert ist? - Das war so: Ein Geschäft! Ein großartiges, einmaliges, einzigartiges Geschäft! Der größte Waffenschmuggel der Geschichte! Hatte mein ganzes Vermögen investiert. Hatte meiner Mätresse, die eigentlich keine Mätresse war, sondern nur meine Geschäftspartnerin, alles überlassen. Aber Sie wissen ja, wie das ist, wenn man einen Goi Geschäfte machen läßt!
    Es ist alles im Eimer! Was soll ich, Itzig Finkelstein, mit sieben schwarzen Dollars anfangen?
    Hier hocke ich und kann nicht anders: in einem kahlen Hotelzimmer, im amerikanischen Sektor in Berlin ... starre den Himmel an, der schwarz ist, nicht bloß, weil mir schwarz vor den Augen ist, sondern weil es in Berlin zur Zeit regnet. Glauben Sie, daß ich, Itzig Finkelstein, nochmals von ganz vorne anfangen kann? Ich bin fast vierzig!
    Dachte heute morgen beim Aufstehen an die Gräfin. Unser Abschied war kühl. »Herr Finkelstein. Der Butler wird Sie im Mercedes in Ihr Hotel fahren!"
    »Ja. Vielen Dank.«
    »Gehen Sie ins Hotel ›Vaterland‹! Das ist zwar ein schäbiges, aber dafür ein billiges Hotel.«
    »Ja. Das werde ich machen.«
    Im Hotel ›Vaterland‹ wohnen zwei Juden: Der Jude Max Rosenfeld! Und der Jude Itzig Finkelstein! Es wird behauptet, daß Juden einander instinktmäßig erkennen. Wir - Max Rosenfeld und ich - begegneten uns zum ersten Male in der Hoteldiele, der Diele des Hotels ›Vaterland‹, sahen uns, erkannten uns, zwinkerten uns zu, schlichen umeinander herum, beschnupperten unseren Seelengeruch, stürzten dann impulsiv aufeinander zu, schüttelten uns die Hände, sagten: »Schalom« -fragten: »Was treiben Sie in Berlin? Und was machen Sie im Hotel ›Vaterland‹?« - beantworteten unsere Fragen mit Fragen: »Und was treiben Sie in Berlin? Und was machen Sie im Hotel ›Vaterland‹?«
    Das war vor dem Frühstück ... ich meine: die erste Begegnung. Später saßen wir selbstverständlich am selben Tisch, frühstückten, unterhielten uns, tauschten unsere Eindrücke aus. Ich versuchte, Max Rosenfeld klarzumachen, daß wir - er, Max Rosenfeld und ich, Itzig Finkelstein - uns an unserem Seelengeruch erkannt hatten.
    »Seelengeruch?« sagte Max Rosenfeld. »Das Wort müßte man mit Rotstift unterstreichen!«
    Ich sagte: »Mit Blaustift!«
    »Warum mit Blaustift?« fragte Max Rosenfeld.
    Ich hätte ja antworten können: »Warum nicht mit Blaustift?« - bediente mich jedoch der anderen Antwortmethode und sagte: »Weil man Wahrheiten mit Blaustift unterstreichen soll!«
    Max Rosenfeld nickte, guckte jedoch mitleidig auf meine KZ-Nummer, dachte wahrscheinlich: Der ist übergeschnappt! SS-Stiefel! Schädeltritte! Dachschaden!
    Seelengeruch ...
    Heute dachte ich den ganzen Nachmittag über dieses Wort nach. Was ist es, was wir Juden ausstrahlen? Und wenn wir einander begegnen, was erschnuppern und erkennen wir mit unseren Seelennasen? Was ist dieses geheimnisvolle Etwas? Und woraus setzt es sich zusam men? Ist es unsere Vergangenheit? Unsere einmalige Geschichte? Das

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