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Der Nazi & der Friseur

Der Nazi & der Friseur

Titel: Der Nazi & der Friseur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edgar Hilsenrath
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hat denn heutzutage als Jude noch einen Minderwertigkeitskomplex? Wissen Sie denn nicht, daß wir den Krieg gewonnen haben?«
    Ich sagte: »Ja. Das weiß ich allerdings.«
    »Na also! Und was erzählen Sie da von einer Gräfin? Von einer Villa? Sie haben sicher bloß geträumt!"
    »Geträumt?«
    »Natürlich! Geträumt! Dieses Milieu - wissen Sie, was das ist, Herr Finkelstein ... Milieu? - dieses Milieu in dieser Villa ... das gibt es doch gar nicht mehr! Diese Gräfin aus einer verklungenen Zeit ... im Jahre 1947 ... Gräfin mit einem Stich ... einem modernen Stich ... und nationalsozialistische Schmierliteratur auf dem Frühstücksteller ... und dieser Butler ... und Mettwurstbrötchen ...«
    Ich sagte: »Und was finden Sie so absurd ... an Mettwurstbrötchen?«
    Ich habe bestimmt nicht geträumt, obwohl ich nicht ganz sicher bin. Denn was ist schon sicher in diesem Leben? Bin ich etwa ich? Ist das sicher? - Aber ich kann ihn nicht überzeugen!
    Für den Juden Max Rosenfeld existiert nur noch das Hotel ›Vaterland‹.
    »Sehen Sie, Herr Finkelstein, wie die Deutschen vor uns katzbuckeln! Sie fühlen sich schuldig! Keiner von ihnen ist imstande, die sechs Millionen wieder aufzuwecken. Sechs Millionen ermordete Juden! Das ist keine Kleinigkeit!«
    Ich sagte: »Ja. Das stimmt.«
    »Die Deutschen im Hotel ›Vaterland‹ möchten uns um Verzeihung bitten«, sagte Max Rosenfeld ... »uns, die Überlebenden ... Aber sie wissen nicht wie. Es ist auch nicht leicht.«
    »Und was machen sie?«
    »Sie ziehen den Hut vor uns«, sagte Max Rosenfeld. »Oder machen seltsame Knickse! Sie sehen doch!«
    Ich sagte: »Und beim Schlange stehen vor der Herrentoilette ...«
    »Ja«, sagte Max Rosenfeld ... »sehen Sie ... sogar dort haben wir den Vortritt! Wir dürfen keine Bauchschmer zen haben. Das ist wichtig. Wenigstens im Augenblick. Bis die Schuld bezahlt ist.«
    Der neue Zeitgeist ist philosemitisch. Ein Schreckensgespenst mit nassen Augen, die eines Tages trocknen werden.
    Wann?
    Ich träume nicht gern. Träume erschrecken mich. Besonders im Schlaf.
    Träumte gestern nacht ... ich wäre im Theater. Und dort wurde Zeitgeist gespielt. Sah eine Bühne. Sah das Hotel ›Vaterland‹. Sah die Schauspieler herumrennen. Sah auch Max Rosenfeld. Sah auch Itzig Finkelstein. Dachte: Du sitzt im Zuschauerraum ... und dabei siehst du dich auf der Bühne. Fragte mich: »Was ist das eigent lich?"
7.
    Habe endlich etwas über Max Rosenfeld erfahren. Er ist der einzige Überlebende einer sechsköpfigen Familie. Er bildet sich ein, daß seine Frau und seine fünf Kinder von den Aposteln Adolf Hitlers zu Seife verarbeitet worden sind. Als Friseur hätt' ich ihn gerne gefragt: Was für Seife? Denn es gibt ja bekanntlich verschiedene Sorten. Aber ich hielt es für ratsamer zu schweigen.
    Wie Max Rosenfeld aussieht? Max Rosenfeld sieht ... eben wie Max Rosenfeld aus. Ich würde sagen: so wie ein jüdischer Rechtsanwalt, der kein Rechtsanwalt ist, weil er nicht fertigstudiert hat ... der aber Buchhalter ist, einer, der sich für einen Rechtsanwalt hält ... der Zionistenführer war und aus Prag stammt ... der ungefähr so alt ist wie ich, aber etwas kleiner ... ich würde eher sagen: untersetzt ist oder versetzt um eine Kopfeslänge tiefer ... der schon weiße Haare hat und ein spitzes Gesicht, der eine große, schwarze Hornbrille trägt, so ähnlich wie meine, obwohl meine braun ist mit Brillengläsern aus gewöhnlichem Glas ... der keine blauen Augen hat, wie Itzig Finkelstein, der andere ... sondern hellbraune ... die oft gelblich wirken ... wie was? ... ich weiß nicht wie ... die immer anders blicken können, so daß man ganz wirr wird.
    Es stimmt. Seine Augen wechseln den Blick zu oft. Manchmal blicken sie auch wie Kernseife.
    Jetzt hab ich's: Kernseife!
    Max Rosenfeld lebt von Liebespaketen aus Amerika. Er möchte wieder arbeiten.
    Wir unterhalten uns oft über den zukünftigen Judenstaat.
    Max Rosenfeld ist ein fanatischer Zionist.
    »Passen Sie auf, Herr Finkelstein! Wenn es soweit ist ... und es ist bald soweit ... da werden wir eine Armee aus dem Boden stampfen so wie einst Judas Makkabäus!«
    Wir sprechen oft über den Aufstand der Makkabäer und über den Aufstand Bar Kochbas, und Max Rosenfeld freut sich jedesmal, wenn er sieht, wie gut ich über jüdische Geschichte Bescheid weiß.
    »Herr Finkelstein ... wissen Sie ... ich möchte gerne wieder neu anfangen ... aber nicht hier ... drüben!«
    »Wo ... drüben ... in

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