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Der Nebel weicht

Der Nebel weicht

Titel: Der Nebel weicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Poul Anderson
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Religion gab, würde es nicht der Animismus sein, der in der Vergangenheit genügt hatte. Kämpferische Begeisterung? Nein, das war ebenfalls ein überholter Mythos. Wilde Panik? Vielleicht, aber nicht sehr viel davon.
    Rossman hat ein Gutteil der Wahrheit erkannt, überlegte Mandelbaum weiter. In dieser Stunde des Gerichts kann der Mensch nichts anderes tun, als vor Angst zu weinen oder sich über die zu werfen, die er liebt, um sie mit seinem armseligen Fleisch zu schützen. Niemand konnte ehrlich glauben, er sterbe für eine gute Sache. Falls er jetzt die Faust gen Himmel hob, geschah das nicht aus Zorn über das Böse, sondern war ein bloßer Reflex.
    Leere … Ja, dachte er, ich glaube, wir brauchen wirklich neue Symbole. Rossman stand auf und tastete sich durch das Halbdunkel zu einem Schrank hinüber, öffnete eine Schublade und nahm eine Flasche heraus. „Das ist ein zweiundvierziger Burgunder, den ich gerettet habe“, sagte er. (Leisten Sie mir dabei Gesellschaft?)
    „Sicher, gern“, erwiderte Mandelbaum. Er machte sich nicht viel aus Wein, aber wenn er damit einem Freund helfen konnte … Rossman hatte keine Angst, er war alt und blickte auf viele Jahre zurück, aber er wirkte trotzdem irgendwie verloren. Die Welt wie ein Gentleman zu verlassen – nun, das war auch ein Symbol.
    Rossman füllte zwei Kristallpokale und stellte einen davon vor Mandelbaum auf den Tisch. Sie stießen an und tranken. Rossman schloß einen Moment lang die Augen, als wolle er den Geschmack ganz auskosten. „An unserem Hochzeitstag hat es auch Burgunder gegeben“, sagte er dann.
    „Deshalb brauchen Sie jetzt nicht gleich hineinzuweinen“, antwortete Mandelbaum. „Der Schirm wird halten. Es ist die gleiche Kraft, die die Nukleonen zusammenhält, es gibt nichts Stärkeres im Universum.“
    „Ich habe einen Toast auf das Wohl des tierischen Menschen ausgebracht“, erklärte Rossman. (Sie haben recht, das ist sein letztes Aufbäumen. Aber er war in vieler Beziehung eine noble Kreatur.)
    „Stimmt“, sagte Mandelbaum. (Er hat die raffiniertesten Waffen erfunden.)
    „Diese Raketen …“ (Sie repräsentieren irgend etwas. Sie sind schön, wissen Sie, sauber und glänzend und vor allem völlig ehrlich. Es hat mehrere geduldige Jahrhunderte gedauert, bis der Punkt erreicht war, an dem sie gebaut werden konnten. Die Tatsache, daß sie den Tod für uns tragen, ist rein zufällig.)
    (Ich bin anderer Meinung), kicherte Mandelbaum, ein trauriges kleines Geräusch in der großen Stille, die sie umgab.
    An der Wand hing eine Uhr mit Leuchtzifferblatt. Ihr Sekundenzeiger beschrieb einen faulen Kreis, noch einen und einen dritten. Das Empire State Building hob sich als eine Säule aus Dunkelheit vor dem matten Blau des Himmels ab. Mandelbaum und Rossman saßen schweigend und in Gedanken versunken da.
    Ein grelles Gleißen wie ein großer, blendender Blitz erfüllte das Firmament, der gesamte Himmel war plötzlich eine weißglühende, strahlende Halbkugel.
    Mandelbaum bedeckte seine geblendeten Augen und ließ den Pokal klirrend zu Boden fallen. Er fühlte die Strahlung aufflackernd, verlöschend und wieder aufflackernd wie Sonnenschein auf der Haut. Ein gewaltiges Donnern ließ die Stadt erbeben.
    … zwei, drei, vier.
    Danach herrschte eine andere Stille, in der die Echos sich dröhnend zwischen den hohen Wänden brachen. Ein warmer Wind strich seufzend durch die Straßen, und die großen Gebäude kamen langsam zur Ruhe.
    „Nicht schlecht“, sagte Mandelbaum. Er hatte keine besonderen Emotionen, eigentlich gar keine. Der Schirm hatte funktioniert, die Stadt lebte – na schön, er konnte also wieder an die Arbeit gehen. Er rief das Rathaus an. „Hallo. Alles okay? Also, wir müssen jetzt aktiv werden, überprüfen, ob es irgendwo zur Panik gekommen ist, und …“
    Aus dem Augenwinkel bemerkte er Rossman, der ruhig in seinem Sessel saß, das halbgeleerte Glas auf der Lehne.

 
12
     
    Corinth seufzte und schob die Arbeit zur Seite. Das Murmeln der abendlichen Stadt drang schwach durch das offene Fenster, das die Oktoberkühle hereinließ. Er fröstelte leicht, nahm sich eine Zigarette und lehnte sich eine Weile rauchend zurück.
    Raumschiffe, dachte er träge, draußen in Brookhaven bauen sie das erste Sternenschiff.
    Sein Beitrag an dem Projekt bestand in der Berechnung intranuklearer Spannungen unter dem Einfluß des Triebfeldes, eine einigermaßen komplizierte Aufgabe, aber nicht von so überragender Bedeutung, daß die

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