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Der Nebel weicht

Der Nebel weicht

Titel: Der Nebel weicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Poul Anderson
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das Bedürfnis nach einem Gespräch verspürte, würde sie zur Stelle sein.
    Über Roger’s Café leuchtete ein bescheidenes Neonlicht. Sie traten durch die Tür und fanden sich in einem blauen Zwielicht wieder, das sie kalt und lumineszierend umgab, als ob es die Luft selber war, die das Licht ausstrahlte. Guter Trick, dachte Corinth, wie sie das wohl machen? – und einen Moment später hatte er das neue Fluoreszensprinzip enträtselt, auf dem die Erscheinung basierte. Vielleicht hatte ein Ingenieur plötzlich entschieden, daß er es vorzog, ein Restaurant zu betreiben.
    Die Tische standen weiter voneinander entfernt, als es früher üblich gewesen war. Corinth bemerkte nebenbei, daß sie in einer Spirale angeordnet waren, die die Schritte der Bedienung von der Küche und zurück im Durchschnitt auf ein Minimum reduzierte. Aber es war eine Maschine, die auf Gummirädern heranrollte und ihnen Bestellblock und Schreibstift entgegenstreckte.
    Die Speisekarte führte nur wenige Fleischgerichte – es herrschte immer noch Lebensmittelknappheit –, aber Helga bestand darauf, daß das Soja Supreme wunderbar sei, und Corinth bestellte zwei Portionen.
    Als die Aperitifs gebracht wurden, stießen sie über der weißen Tischdecke miteinander an. Sie blickte ihn ernst und wartend an. „Was heal.“
    „Drinc heal“, antwortete sie und fügte dann nachdenklich hinzu: „Ich fürchte, unsere Nachkommen werden unsere Vorfahren überhaupt nicht mehr verstehen. Das ganze herrliche barbarische Erbe wird nur noch als tierhaftes Lautgeben erscheinen, oder? Wenn ich an die Zukunft denke, überläuft es mich manchmal kalt.“
    „Dich also auch“, murmelte er und wußte, daß sie nur aus der Reserve herausgekommen war, um es ihm leichter zu machen, sich zu erleichtern.
    Eine kleine Kapelle betrat das Podium im Hintergrund. Corinth erkannte drei der Männer als Musiker wieder, die vor der Veränderung berühmt gewesen waren. Sie führten die alten Instrumente mit sich, Geigen, einige Holzblasinstrumente und eine Trompete, aber es gab auch einige neue. Nun ja, bis es wieder philharmonische Gruppierungen gab, falls es überhaupt jemals dazu kommen würde, waren ernsthafte Künstler bestimmt froh, daß sie die Gelegenheit hatten, in einem Restaurant zu spielen – zudem würden sie ein verständnisvolleres Publikum haben als normalerweise in der Vergangenheit.
    Er sah sich unter den übrigen Besuchern um. Es waren ganz normal aussehende Menschen, Arbeiter mit schwieligen Händen, Seite an Seite mit dünnen, schmalschultrigen Angestellten und bärtigen Intellektuellen. Die neue Nacktheit hatte die alten Unterschiede ausgelöscht, jedermann fing erneut beim Nullpunkt an. Die Kleidung war einheitlich bequem: am Kragen offene Hemden, weite Hosen und Jeans, hier und da ein gewagtes, prunkvolles Experiment. Äußerlichkeiten zählten von Tag zu Tag weniger.
    Es gab keinen Dirigenten. Die Musiker schienen zu improvisieren, sie woben ihre Melodien ineinander und um einen unhörbaren Rahmen. Es war eine kühle Musik, Eis und grüne Nordmeere, das Seufzen der Saiteninstrumente war mit einem zwingenden komplexen Rhythmus unterlegt. Corinth verlor sich eine Zeitlang darin, als er versuchte, sie zu analysieren. Hin und wieder brachte ein Akkord irgendein seltsames Gefühl in ihm zum Klingen, und seine Finger schlössen sich um das Weinglas. Einige Leute tanzten und erfanden immer neue Figuren. Früher würde man das eine Jam Session genannt haben, aber dafür war es zu entlegen und intellektuell, überlegte Corinth. Ein weiteres Experiment – die gesamte Menschheit experimentierte, suchte nach immer neuen Wegen in einer Welt, die plötzlich keinen Horizont mehr besaß.
    Er wandte sich wieder Helga zu und überraschte sie dabei, daß sie ihn beobachtete. Er fühlte, wie Blut heiß in sein Gesicht strömte, und wollte über etwas Unverfängliches sprechen. Aber die Übereinstimmung, das Verständnis, das zwischen ihnen herrschte, war zu groß. Sie hatten zusammen gearbeitet und einander beobachtet, und jetzt gab es ihre eigene Sprache zwischen ihnen, jeder Blick und jede Geste bedeuteten etwas, und die Bedeutungen sprangen hin und her, verknüpften sich, trennten sich und trafen wieder aufeinander, bis es so war, als ob man mit sich selbst sprach.
    „Arbeit?“ fragte Corinth laut und meinte damit: (Wie haben sich deine Aufgaben in letzter Zeit entwickelt?)
    „Ganz gut“, entgegnete sie ausdruckslos. (Wir vollbringen da irgend etwas Heroisches,

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