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Der Nebel weicht

Der Nebel weicht

Titel: Der Nebel weicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Poul Anderson
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anstehenden Konstruktionsarbeiten nicht fortgesetzt werden konnten, solange er nicht fertig war. Er war gerade heute erst draußen gewesen und hatte sich angesehen, wie die Hülle langsam Gestalt annahm, und der fachlich interessierte Teil seiner selbst hatte eine Art von kühler Bewunderung für ihre perfekte Schönheit empfunden. Jedes Organ des Schiffes, Maschine und Panzerung, Schleusen und Luken, Kontrollen und Sensoren waren Stücke präziser Ingenieurskunst, wie sie die Erde noch nicht gesehen hatte. Er war stolz, an einem solchen Werk teilhaben zu können.
    Nur …
    Er fluchte leise, drückte die Zigarette in einem überquellenden Aschenbecher aus und stand auf. Es würde einer seiner schlimmen Nächte werden, er brauchte Helga.
    Das Institut summte vor Leben, als er durch die vertrauten Gänge schritt. Sie arbeiteten jetzt vierundzwanzig Stunden in Schichten, tausend freigesetzte Geister griffen nach einem Horizont, der sich plötzlich über alle Vorstellungen hinaus erstreckte. Er beneidete die jungen Techniker. Sie waren stark, zielstrebig und ausgeglichen, die Zukunft gehörte ihnen, und sie wußten es. Als Dreiunddreißig jähriger fühlte er sich bereits durch die Jahre aufgefressen.
    Helga war zurückgekehrt, um wieder die Direktion zu übernehmen: Auf der neuen Basis erforderte die Aufgabe die gesamte Kraft eines normalen Erwachsenen, und sie hatte sowohl die nötige Erfahrung als auch den Wunsch, die Arbeit zu tun. Corinth dachte, daß sie sich überanstrengte, und ihm wurde schuldbewußt klar, daß es seine Schuld war. Sie ging nie vor ihm, weil er manchmal mit ihr reden mußte. Heute war es wieder einmal soweit.
    Er klopfte. „Herein“, drang es aus der Gegensprechanlage, und ihm entging weder das unterschwellige Verlangen in ihrer Stimme noch das Aufleuchten ihrer Augen, als er eintrat.
    „Was meinst du, wollen wir etwas essen gehen?“ fragte er.
    Sie hob die Brauen, und er erklärte hastig: „Sheila ist heute abend bei Mandelbaums Frau. Sie … Sarah … sie ist gut für Sheila, sie hat die Art von weiblichem gesunden Menschenverstand, den ein Mann nicht haben kann. Ich weiß nicht so recht, was ich mit meiner Zeit anfangen soll …“
    „In Ordnung.“ Helga ordnete ihre Papiere und räumte sie weg. Ihr Büro war stets so ordentlich und unpersönlich, als arbeite dort eine Maschine. „Kennst du eine Futterkrippe?“
    „Ich gehe in letzter Zeit nicht mehr viel aus.“
    „Na, dann versuchen wir es mit Roger’s Café. Ein neuer Nachtclub für den neuen Menschen.“ Sie lächelte leicht säuerlich. „Zumindest haben sie dort genießbares Essen.“
    Er ging in den kleinen anschließenden Waschraum und versuchte, sein durcheinandergeratenes Haar und seine Kleidung zu richten. Als er wieder herauskam, war Helga fertig. Er betrachtete sie einen kurzen Moment lang und nahm jedes Detail mit einer Klarheit und Vollständigkeit auf, von der er in den verlorenen Jahren nicht einmal geträumt hatte. Sie konnten nichts voreinander verbergen und hatten aufgegeben, es zu versuchen – sie mit der für sie charakteristischen Aufrichtigkeit, er mit müder, dankbarer Kapitulation. Er brauchte jemanden, der ihn verstand und der stärker war als er, jemanden, mit dem er reden konnte, um so neue Kraft zu schöpfen. Er glaubte, daß er nur nahm und daß Helga nur gab, aber er konnte es sich nicht leisten, diese Beziehung aufzugeben.
    Sie nahm seinen Arm, und sie gingen auf die Straße. Die Luft drang dünn und scharf in ihre Lungen, sie roch nach Meer und Herbst. Ein paar abgestorbene Blätter wirbelten über den Gehweg, es fror bereits.
    „Laß uns laufen“, sagte Helga, denn sie kannte seine Vorliebe für Fußmärsche. „Es ist nicht weit.“
    Er nickte, und sie gingen raschen Schrittes die langen, fast menschenleeren Straßen entlang. Die Nacht lag schwer über der Stadt, die Hochhäuser Manhattans ragten wie ein schwarzes Gebirge um sie auf, und nur hin und wieder begegneten ihnen ein vereinzeltes Fahrzeug oder ein einsamer Fußgänger. Corinth dachte daran, daß die Veränderung New Yorks versinnbildlichte, was mit der Welt geschehen war.
    „Wie steht’s mit Sheilas Arbeit?“ fragte Helga. Corinth hatte seiner Frau eine Beschäftigung im Entlastungszentrum besorgt, in der Hoffnung, daß dies ihre Moral wieder aufrichten würde. Er zuckte die Achseln und sagte nichts. Es war besser, das Gesicht in den dünnen Wind zu heben, der zwischen den dunklen Wänden dahinstrich. Auch Helga schwieg, wenn er

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