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Der Neid eines Fremden

Der Neid eines Fremden

Titel: Der Neid eines Fremden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Caroline Graham
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hatte und ihn adoptieren wollte. Dazu eine ganze Menge Freunde, »die alte Gang«, die ihm keineswegs den Erfolg neideten und mit denen er sich gelegentlich zu einem Streifzug durch die Kneipen traf.
      Es wurde allmählich Zeit für den Briefträger. Er änderte die Poptitel auf seiner Plattenliste und legte sie in den Aktenordner, der alle Einzelheiten seines neuen Lebens enthielt. Das ist das wahre Leben, dachte er, und preßte den Ordner fest an seine Brust. Was man sich selbst schafft. Das ist die Wahrheit. Er hatte das eigenartige Gefühl, daß in dem Aktenordner auf undefinierbare Weise sein eigenes Leben aufgehoben war. Es war, als habe er durch die Auflistung von Erfahrungen und die Zusammenstellung von Namen wie ein Alchimist das gewöhnliche Metall, aus dem seine Persönlichkeit geschmiedet war, in pures Gold verwandelt. Er kam sich vor wie eine dieser Figuren in den Zeichentrickfilmen, die zusammenschrumpften und in den Seiten eines Buches verschwanden; als habe er sich, reingewaschen vom Schmutz des Versagens und der Hoffnungslosigkeit, in den Aktenordner verflüchtigt, bis der warme Glanz des Erfolgs ihn zu neuem Leben erwecken würde. Dann würde er sich, angetan mit einem strahlenden Körper, wunderschönen Kleidern und einer engelsgleichen Stimme, erheben und endlich zeigen können, was in ihm steckte.
      Er öffnete die Tür. Der Geruch des Bratfetts störte ihn nicht mehr. Er würde nicht mehr lange hier sein. Heute war wieder keine Post gekommen. Vor vier Tagen hatte er ihr geschrieben. Er durfte nicht ungeduldig werden. Eine Frau in ihrer Position wurde bestimmt mit einer Flut von Briefen überschwemmt. Vielleicht war ihre Sekretärin krank geschrieben, und die Post stapelte sich auf ihrem Schreibtisch. Er wollte nicht unvernünftig sein. Er sah auf den Kalender. Montag, der siebzehnte November. Bis Dienstag würde er ihr Zeit lassen.
     
    An diesem Dienstag hieß das Thema ihrer Sendung »Wohnungssuche«. Rosa war wie immer davon gerührt, wie viele Menschen zu glauben schienen, daß sie Wunder vollbringen und ihnen eine Wohnung (oder ein Krankenbett oder sonstiges) beschaffen könne, wenn die Stadtverwaltung versagt hatte. Die Anrufe waren vorhersehbar. Klagen über jahrelange Wartelisten; über andere, meist weniger verdienstvolle Mitmenschen, die bevorzugt behandelt wurden. Und immer wieder der verständliche Haß auf die Boat People und andere verzweifelte Flüchtlinge. Wie schnell doch das Verständnis für die Außenseiter, dieser angeblich so unumstößliche Bestandteil des britischen Charakters, nachließ, wenn Arbeit und Wohnungen knapp wurden! Rosa fragte sich manchmal, wie lange ihr eigenes Mitgefühl, das niemals ernsthaft auf die Probe gestellt worden war, vorhalten würde, wenn sie weder Arbeit noch ein Dach über dem Kopf hätte.
      Die Sendung war fast zu Ende. Der Vogelmann hatte angerufen und hielt gerade eine kleine Moralpredigt: »... sollte ihre Nestgewohnheiten untersuchen. Man sollte große Gebiete als eine Art Menschenschutzgebiete zur Verfügung stellen und den armen Leuten Material an die Hand geben, mit dem sie sich ihre Nester bauen könnten - nur übergangsweise. Wenn dann wieder Wohnungen frei werden, könnte man diese Nester abbauen. Oder sie ausbauen und für arme Familien stehenlassen.«
      Rosa hatte nicht gewußt, ob sie lachen oder weinen sollte, als der Vogelmann begann, regelmäßig an ihrer Sendung teilzunehmen. Aber seine unerschütterliche Überzeugung, daß alle gesellschaftlichen Mißstände durch Beobachtung und Nachahmung der Vögel gelöst werden könnten, hatte das Interesse ihrer Hörer geweckt, und wenn er sich einmal, was selten vorkam, nicht gemeldet hatte, erhielt Rosa eine Flut von Briefen, in denen man sich nach seinem Wohlbefinden erkundigte. Er war immer höflich, hielt sich ziemlich kurz, und Rosa hatte ihn noch nie wegen unflätiger Bemerkungen unterbrechen müssen.
      »Meinen Sie so etwas wie Fertighäuser?«
      »Genau! Sie wissen immer, was ich meine, Mrs. Gilmour. Es spricht nichts dagegen, Schlamm zu verwenden. Er ist reichlich vorhanden, und unsere Freunde, die Schwalben, kommen gut damit zurecht.«
      »Und wenn es regnen sollte?« Rosa bemühte sich, ernst zu bleiben. Gerade hatte sie Louise entdeckt, die hinter der Scheibe zum Kontrollraum das Zwitschern eines Vogels nachahmte.
      »Natürlich muß man ihn mit Stroh mischen.«
      »Natürlich. Entschuldigen Sie - daran habe ich nicht gedacht.« Impulsiv fügte

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