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Der Neid eines Fremden

Der Neid eines Fremden

Titel: Der Neid eines Fremden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Caroline Graham
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sicher?«
      »Natürlich bin ich mir sicher. Er hat ein Geständnis abgelegt. Er ist in der Wapping Police Station.«
      »Das ist wirklich eine bedrohliche Gegend.«
     
    Rosa hielt Leos gleichgültige Hand, als sie über das glänzende Kopfsteinpflaster gingen. Zum Fluß hin stapelten sich riesige Steinhaufen und Berge modrigen Holzes. Alte Lagerhäuser mit Türen, die sechs Meter über dem Erdboden begannen, und ausgebrannten Höhlen, wo einmal Fenster gewesen waren. Gelegentlich kamen sie an einem vorbei, das in ein Wohnhaus umgewandelt worden war und durch dessen vornehme Fenster man bunte Tiffanylampen sah. Über ihnen erstreckte sich ein metallener Fußsteg mit der Aufschrift >ODDBINS<, und aus einem senfgelb und hellblau gestrichenen Gebäude drang das leichte Dröhnen von Maschinen. Auf einem davor angebrachten Schild stand Metropolitan Police Boat Yard.
      »Man muß sich wirklich fragen, wie es auf der Wapping Low Street aussieht, wenn das hier die Wapping High Street ist.«
      Schweigen.
      Dann war zwischen den Gebäuden eine Lücke, und sie konnte den Fluß sehen, auf dem sich die silbernen Bahnen des Mondlichts kräuselten. Das Wasser schlug gegen halbversunkene Stapel modrigen Holzes und gegen Steinmauern. Drei unbewegliche Kräne hoben sich wie die Skelette prähistorischer Riesenvögel gegen den Himmel ab. Im nächsten Gebäude war ein Pub namens The Town of Ramsgate untergebracht.
      »Vielleicht können wir hinterher etwas trinken gehen, Leo.«
      »Um ehrlich zu sein, möchte ich gleich nichts als schlafen. Und ich hoffe, unser Leben wird dann wieder in normale Bahnen kommen.«
      Ein weiterer Versuch, dieser Gegend ein anderes Gesicht zu geben. Ein kleines Rasenstück war auf beiden Seiten von vornehmen und guterhaltenen Häusern aus der Zeit Edwards II. umgeben. Vor dem einen stand gleich neben einem aufgemotzten und frisierten Cortina ein Porsche. In der Dunkelheit wirkten die Gartenhecken mitternachtsblau. Ein Schiff fuhr vorüber, dessen Lichterketten sich auf dem Wasser spiegelten und dessen Kielwasser den Widerschein des Mondlichts zerschnitt. Am anderen Ende des Rasens standen gleich oberhalb des Flusses einige Steinbänke.
      »Könnten wir einen Augenblick stehenbleiben?«
      »Wozu? Es ist verdammt kalt.«
      »Nur einen Moment.«
      Leo machte ein Geräusch, das zwischen einem Seufzen und einem verständnislosen Schnalzen angesiedelt war und mit dem er es fertigbrachte, sowohl seine Resignation über die verrückten Einfälle von Frauen im allgemeinen als auch seine Verärgerung über seine Frau im besonderen zum Ausdruck zu bringen. Doch er blieb stehen.
      Sie sahen aufs Wasser. Aus der Nähe und im künstlichen Licht der Straßenlaternen sah es schmutzig aus. Plastikflaschen, alte Blechdosen und aufgeweichte Holzstücke schwammen vorbei. Eine Boje torkelte wie betrunken auf der Wasseroberfläche.
      »Du mußt das nicht machen, hörst du?«
      »Du hast gehört, was sie gesagt haben, Leo. Er verweigert die Aussage, bis er mich gesprochen hat.«
      »Er hat bereits gestanden. Das reicht, um ihn unter Anklage zu stellen.«
      Aber sie wollte ihn sehen. Als der erste Schock vorüber war, hatte sie so viele verschiedene Emotionen durchlebt, daß sie jetzt nicht mehr wußte, was sie tatsächlich fühlte. In ihrem Kopf schien ein bißchen von allem herumzuschwirren: Erleichterung, Wut, Aufregung, Spannung, Angst. Diese Gefühle waren abwechselnd auf sie eingestürzt und verbanden sich jetzt zu einem Schutzwall gegen ihr Herz. Tatsächlich saß in ihrer Brust ein tiefer Schmerz, der ihr das Atmen erschwerte. Doch überlagert wurde all dies von einer unendlichen Neugierde, die selbst stärker war als ihre Angst. Sie mußte ihn sehen. Diesen Mann, der ihr Leben auf so atemberaubende, kalte und böswillige Weise beeinflußt hatte.
      Auf dem Weg hierher hatte sie sich ihn tausendmal auf tausendfach verschiedene Weise vorgestellt: jung, mittleren Alters, alt, fett, dünn, glatzköpfig, stark behaart, groß, klein. Und wie würde sie reagieren? Sie hatte sich (unter großen Mühen) vorgestellt, daß sie verständnisvoll wäre, und (unter bedeutend weniger Mühen), daß man sie zurückhalten müßte, damit sie ihn nicht körperlich angriff. Leo hatte versucht, sie zu überreden, bis zum nächsten Tag zu warten, da er annahm, daß sie mit der Situation gelassener umgehen würde, wenn sie eine Nacht darüber geschlafen hätte. Doch diese Vorstellung hatte sie

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