Der Neid eines Fremden
verbünden.
Es war einer der Tage gewesen, an denen sie zu Hause blieb, und vor und während des Mittagessens hatte sie fast eine ganze Flasche Wein getrunken. Um Viertel nach drei war sie fast zu dem Entschluß gekommen, eine Taxizentrale anzurufen und sie zu bitten, Kathy und Guy von der Schule abzuholen, hatte sich dann aber doch dagegen entschieden. Kathy würde sich wahrscheinlich fürchten, wenn sie mit einem Fremden nach Hause fahren müßte. Rosa rief die Mutter von Guys Freund Speed an, um zu sehen, ob sie ihr helfen könnte, erhielt aber keine Antwort. Um zwanzig nach drei war sie also in ihren Golf gestiegen und sehr langsam und vorsichtig zu Kathys Schule gefahren.
Mit beiden Kindern auf dem Rücksitz war sie bereits an der Bayham Street angelangt, als sie das Gefühl überkam, zu Hause und nüchtern zu sein, und sie beschleunigte den Wagen, wobei sie die Haltelinie überfuhr und direkt in die Greenland Road einbog. Ein herannahender Lieferwagen kam mit quietschenden Bremsen zum Stillstand, und Rosa wich in den Rinnstein aus. Wie durch ein Wunder prallten die beiden Wagen nicht aufeinander. Ein junger Mann sprang, das Gesicht weiß vor Entsetzen und Wut, aus dem Lieferwagen und kam auf den Golf zu. Rosa kurbelte das Fenster hinunter.
»Ich ... es tut mir schrecklich leid ... ich wollte nicht... es tut mir leid...«
»Leute wie Sie gehören eingesperrt. Sie sind nicht einmal in der Lage, einen verdammten Rollstuhl zu fahren, von einem Auto ganz zu schweigen.« Sein hübsches, junges Gesicht, das jetzt vor Wut verzerrt war, drängte sich durch das Fenster. »Sie sind verdammt besoffen, oder?«
Rosa schüttelte den Kopf und begann zu weinen. »Nein... nein...«
»Und Kinder auf dem Rücksitz.« Wieder sagte er: »Man sollte Sie einsperren, bevor Sie jemanden totfahren. Ich hätte nicht übel Lust, Sie für Verkehrsgefährdung einbuchten zu lassen.«
Rosa legte den Kopf auf das Lenkrad. Ihre Schultern bebten. Er schien noch etwas sagen zu wollen, aber anscheinend änderte er seine Meinung angesichts des erbärmlichen Anblicks, den sie bot. Er kletterte wieder in seinen Lieferwagen, reihte sich in den Verkehr und fuhr davon.
Auf dem Bürgersteig hatten sich einige Leute versammelt. Bevor sie das Fenster hochkurbelte, hörte Rosa eine Frau sagen: »Arme Würmer.« Jemand anderes meinte: »Und es ist nicht einmal Teezeit.« Sie blieb einen Augenblick im Halteverbot stehen, sah dann einen Verkehrspolizisten auf sich zukommen und fuhr, durch den Schock wieder nüchtern geworden, vorsichtig nach Hause. Dann hatte sie die Kinder gebeten, Leo nichts von dem Vorfall zu erzählen.
»Wenn Dad wüßte, daß ich... unpäßlich war, würde er sich schreckliche Sorgen machen. Und er wäre sehr traurig.« Voller Selbstverachtung setzte sie hinzu: »Ich bin mir sicher, daß ihr das nicht wollt.«
Kathy hatte sofort zugestimmt und war auf ihren Schoß geklettert; Guy hatte sich erst nach einer langen Pause einverstanden erklärt, ohne sie anzusehen. Aber Erwachsene spüren immer, wenn Kinder ein Geheimnis haben. Kathy und Guy hatten den Vorfall so offenkundig verschwiegen, daß sie sich allein durch die Intensität ihres Schweigens verrieten. Doch Leo hatte nichts gesagt, und sagte auch jetzt noch nichts, obwohl sie allein waren. Das Warten darauf, daß er zu reden begann, machte Rosa nervös. Er räusperte sich. Sie nahm die Pfanne vom Herd.
»Liebling, das riecht einfach fantastisch.«
»Karbonade. Und ich habe Nudeln gekocht. Es gibt kein Gemüse dazu. Ich habe einfach keine Lust, Gemüse zu kochen, wenn ich den ganzen Tag zu tun habe.«
»Warum bittest du Greg nicht, etwas zu kochen? Ich dachte immer, sie hätten ein Talent dafür.«
»Das haben sie tatsächlich. Sei nicht so prüde, Leo. Er kommt ohnehin nicht mehr. Ich habe die Jobvermittlung angerufen und sie gebeten, mir eine andere Putzhilfe zu schicken.«
»Wieso? Was ist passiert?«
»Wir hatten eine Auseinandersetzung.«
»Aber ich hab' gedacht, du würdest ihn mögen. Und er scheint tüchtig zu sein.«
Beides stimmte. Rosa fiel es schwer, zu erklären, wie es plötzlich zu dem Streit gekommen war. Wie am vorangegangenen Morgen hatten sie zunächst in freundlichem Einvernehmen eine Tasse Kaffee getrunken. Greg hatte ihr erzählt, er habe in der nächsten Woche im Barbican eine Vorsprechprobe für die Royal Shakespeare Company.
»Was werden Sie spielen?«
»Ich
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