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Der neue Daniel

Titel: Der neue Daniel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Willy Seidel
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die sich so selten zu Koseworten fügte; wenn sie aber eines aussprach, es aufschimmern ließ wie einen schlau versteckten Edelstein. Denn ihre Ausdrücke waren sehr praktisch, und der Sprachschatz, den sie benutzte, nicht besonders reich, da die echt englische Wortfaulheit sie dazu verführte, selbst kurze Wörter noch spielend zu beschneiden.
    Mildred hatte eine ausgesprochene Gleichgültigkeit, die sich launenhaft zur Abkehr zu vertiefen drohte, vor Deutschen. Sie sah an ihnen gewisseabstoßende Äußerlichkeiten. Sie wußte, daß dies Äußerlichkeiten waren, aber man lebt doch, pflegte sie zu sagen, mit dem was man sieht, nicht mit dem, was etwa jemand denkt.
    Es war Rasse, die sie in ihm liebte, ebenso, wie er das an ihr schätzte. Sie hatte Blick dafür, und wenn er nur deutsch gewesen wäre, so hätte das keine Offenbarung für sie bedeutet.
    Daß er aber so über die Maßen typisch deutsch, urgermanisch und teutonisch war, das gefiel ihr an ihm, denn er machte so absolut kein Hehl daraus. Er hatte auch nicht die Sorte Schwerfälligkeit, die bisweilen, wie es bei vielen seiner Landsleute der Fall war, auf Gefühlen anderer herumtrat und sie mit Intellekt durchsiebte. Er hatte die entgegengesetzte Art der Schwerfälligkeit, nämlich er ging an eine Empfindungsform einer anderen Rasse wie etwa an ein seltsames Gewächs heran, das man nicht behutsam genug behandeln kann und erst mit unendlicher Gründlichkeit beobachten muß, ehe man es wagt, eigene Empfindungen gleichwertig daneben zu setzen.
    Sie hätte ihn oft bei den Schultern packen und hin und her schütteln können wegen der ungeheueren Behutsamkeit, mit der er ihr Seelenleben beobachtete; und wenn er zuweilen daneben griff, so verletzte es sie auch selten, sondern amüsierte sie höchstens. Denn seine Instinkte waren die richtigen, wenn auch die Familientradition beider ziemlich verschieden war.
    Sie entstammte einer Kaufmannsfamilie, diepatrizierhafte Ideen seit Jahrhunderten weitergezüchtet hatte, während er seinen Stammbaum vom Ostseestrand herleitete. Manche Leute von nachdenklichen Berufen waren ihm vorausgegangen, weltfremd, mit etwas tiefliegenden Augen und zuweilen seltsam abenteuerlichen Gelüsten. Bei ihm selbst war dies uralte Gelüsten nach dem, was Kipling » the trail, that is always new « nennt, unwiderstehlich zum Durchbruch gekommen, und so hatte sich die Linie der Familie diesmal mit fremdem, freierem Blut verquickt. Er ließ es geschehen, daß sie vielleicht einen etwas absonderlichen Verlauf zu nehmen drohte, aus einer etwas selbstgefälligen Neugier heraus, was aus diesem Komplex von Veranlagungen wohl noch entstehen könne.
    Wenn wir je ein Kind haben, dachte er zuweilen, so wird es eine Mischung darstellen, die unserer langsamen Rasse bislang fremd war. Den biederen Wandersleuten, die sich eine Gegend sozusagen mit dem Knotenstock in der Hand betrachten, wird vielleicht einer folgen, dessen Flugzeug sich brausend durch ungewohnte Himmelsstriche tummelt, neuerer und seltsamerer Beseligungen gewärtig.

Das Tor fällt zu
    Wenn Erwin auch einen halben Begriff vom eigenen Wesen hatte: vieles blickte ihn, wie er jetzt einsah, fremd und verschleiert an.
    Jetzt schien es, als sei ein Tor plötzlich zugefallen; und dieser harte Ton erzeuge eine große Stille, die ihn zum erstenmal zwinge, in sich hineinzulauschen.
    Noch hatte er, so dünkte ihn, den Klang des zufallenden Tores halb im Ohr; – dies war geschehen, als er hierherkam. Irgendwie schien sich ein Schicksal vorzubereiten, dem er mit angstvoller Spannung bald und bald mit trotziger Fassung, in der er seine ganze Persönlichkeit zusammenraffte, entgegenblickte. Was dies sein würde, darüber war er sich nicht klar. Aber ein vielleicht einschneidender Eingriff war da irgendwo geschehen, eine dunkle Trennung von Altgewohntem; eine Probe, die eine Feuerprobe zu werden drohte ...
    Mit dem Verstand betrachtet: was konnte ihnen geschehen? Wo es galt, Mildred zu helfen, da war er da. Nur mit dem gedanklichen, subtilen, unfaßbaren, umwälzenden Etwas sträubte er sich zu ringen, mit dem Ding, dem man nicht beikommen konnte. Das war die Kluft, deren Dasein er gewittert hatte, seit er in diesem Lande war. Diese Kluft ward ihrer umhüllenden Verschleierung, so schien es ihm, durch einen tückischen Windstoß nun beraubt und klaffte vor ihm auf... Es war die Kluft, die, nach allen Seiten hin verästelt, in der Gedankenwelt der Menschheit aufbrach und sich immer weiter auftat, Rassen,

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