Der neue Daniel
sie kleine Vorposten voraus, die spitz vor den Fenstern lärmten und ihren stechenden Gesang wie ein schrilles Ultimatum zur Übergabe zu zweit oder dritt vollführten. Dann kamen sie auf einmal wie eine Wolke aus den Waldgründen heraufgezogen und das Geräusch ihrer glasfeinen Flügel verschmolz zu einem schwebenden Ton, der dem der heftig gestrichenen E-Saite auf einer Violine glich, wobei man, wenn man die Lampe an das Netz heranhielt, mit dem Licht das grünlichgraue, tanzende Gewimmel kaum zu durchdringen vermochte.
Was geschehen würde, wenn durch einen Zufall eines dieser Netze herausfiele und die mörderische Wolke entfesselt sei, war kaum auszudenken. So aber stand der Feind vor dem Fenster und man fühlte sich wie in einer Burg, auf der die Besatzung stets gewärtigen mußte, daß durch eine Bresche herein schier unsichtbare vergiftete Waffen dringen könnten.
Trotz ihrer Vorsicht und trotzdem sie das Haus vom Dach bis zum Keller durchsuchten, geschah es öfters, daß in einen von übelwollenden Bildern erfüllten Traum hinein ein schrill aufjagendes Trompetensignal erscholl, wenn ein einzelner Moskito dicht an ihrem Trommelfell vorübersummte.
Dies war eine Plage, aber es war eine Plage der Nacht, denn tagsüber schienen die Tiere sich unter den Blättern oder im Unterholz zu verstecken. Eines Tages – es war gegen Ende Juli – als sie auf der Veranda saßen, erhielten sie einen plötzlichen Besuch. Er kündigte sich durch Geraschel im Wald an, und ein Hund erschien auf der Lichtung, der pfeilgerade und ohne Zögern auf sie zukam.
Das weißbraune, gefleckte Fell erinnerte sie sofort daran, daß es sich nur um den Hund handeln könne, den sie damals im Walde erblickt. Er kam zögernd heran, setzte sich vor sie hin und schaute sie an. Es war ein Beagle von zweifelhafter Rassenreinheit; so waren, was Mildred sofort bemerkte, seine Beine zu kurz. Müde mit demSchwanz gegen den Verandaboden klopfend, saß er da. Er war ganz appetitlich, jedoch von abschreckender Magerkeit. Was besonders an ihm auffiel, waren seine kreisrunden, blutig geränderten, von schlehenblauen Pupillen fast erfüllten Augen. Es schien, als seien sie beim Anblick kummervollster Dinge halb erblindet; doch als halte nervöse Melancholie sie gewaltsam und ständig offen ... Es war ein bettelnder, hilfloser, verhetzter Hundeblick. Etwas nie wieder Gutzumachendes war ihm geschehen ... Nun suchte er sich seine Gesellschaft dort, wo es anderen ähnlich zu gehen schien.
Er ließ sich nicht vertreiben. Er ging wohl ein paar Mal um das Haus herum und begnügte sich mit einem Knochen, den er ohne Appetit abnagte; dann kam er wieder zum Vorschein und behauptete seinen Verandaplatz, als ob das der ihm von Gott zugedachte Ort sei, um seine letzten Tage zu verbringen. Obwohl er noch jung schien, hatte er etwas unendlich Altes und Unlustiges an sich. Bei Mildred überwog das Mitleid sofort den Abscheu; und Erwin, der mit dem Hunde stumme Augenzwiesprache hielt, faßte gleichfalls sofort ein halb kameradschaftliches Gefühl für ihn.
Ihm war, als trage dieser Hund irgend eine Warnung zu ihnen, die er nicht enträtseln könne; als läge in diesem blutunterlaufenen Blick die ganze Atmosphäre der trostlosen Gegend verdichtet.
»Ich will ihn herausfüttern,« dachte Erwin,»ihn waschen, pflegen und das Schicksal dadurch korrigieren. Vielleicht, wenn ich ihn mit neuer Lebenslust in die Welt schicke, geht es mir später besser. Auch auf diesem Hund sitzt der Stempel, mit dem dies rohe Volk hier alles Lebende belastet und verfolgt. Von den Menschen kann ich den Stempel nicht nehmen, der sitzt zu tief. Aber ein Hund ist vielleicht elastischer.«
Zudem war ihm der Gedanke, Bewachung für das Haus zu haben, nicht unangenehm. Jedesmal, wenn sich unvermutet jemand näherte, belebte sich das frühalte Geschöpf; schattenhafte Instinkte erwachten in ihm und rauhes, asthmatisches Gebell brach aus seiner Kehle. – Dies Gebell zur Nachtzeit wurde ihnen allmählich ein vertrauter Laut, selbst wenn es sie weckte...
Doch irgendwie wurde Erwin von der Ankunft des Hundes verstimmt. Er sagte sich zwar, daß Ursache und Wirkung oft kindlich verwechselt würden; aber seit dem Erscheinen des Gastes, der so viel Unaussprechliches mit sich herumzuschleppen schien, war sein Hirn auf Omina eingestellt. –
Er konnte mit der größten Willensanstrengung das Gefühl nicht verwinden, daß ihnen Beiden eine baldige Gefahr drohe, deren Wesen er nicht erkannte. So wußte er am
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