Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Der neue Daniel

Titel: Der neue Daniel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Willy Seidel
Vom Netzwerk:
seiner selbst, zwangsweise, durch ungewisse Monate hindurch fortgesetzt, ihm nicht Wahn- oder Verfolgungsideen erzeugen müsse.
    Er schloß die Augen und hörte ein Sieden in den Ohren, das mit einem plötzlichen feinen Platzen erlosch, wie wenn man auf eine ferne Explosion lauscht. Das war das Tor, das zugefallene ... Das war das Echo jenes fern abklingenden Krachens; und im Gefolg des brutalen Lautes entstand das Nichts, das isolierende, schwingende, zermürbende Nichts, dem er sich hilflos gegenübersah.
    Es sickerte in seine Gehörgänge ein und legte sich betäubend auf die Ideenwelt, die sich in seinem Hirn regte; auf die bunten Pläne, die nach Erfüllung drängten. Mit Herzklopfen fühlte er sich innerlich plötzlich erlahmen, und gedachte im selben Atemzuge Mildreds, die er unabweislich in den Taumel, der ihm bevorstand, mit hineinreißen mußte. Aber zu zweit war es vielleicht doch leichter, dies gräßliche Gefühl roh zerhackterFäden, diese betäubende Abgeschnittenheit zu ertragen. Jede Lust an einer munteren Produktion war auf einmal wie weggeblasen.
    Bücher, in die er blickte, erschienen ihm nichtssagend wie graues Löschpapier, und aus Gelesenem, mechanisch aufgenommen, blühten keine unvergeßlichen Bilder mehr hervor, bildeten sich keine gebärdenstarke Charaktere, sondern es war, als ob der Hauch der Schöpferkraft, die solche Satzgruppen geformt, mehr: – als ob die gestaltende Liebe auf eine schauderhafte Weise entkleidet und entwertet sei, so daß nichts Neues mehr hervorklang, sondern das Ganze anmutete als ein wahlloses, falschempfundenes Phrasengemengsel, das man einmal mit Kunst verwechselt habe.
    Er hörte Mildreds Stimme unten im Hause trällern, das Liedchen vom Sixpence; hörte ihren leichten Schritt; und eine seltsame Rührung erfaßte ihn vor dieser unbeugsamen Lebensbejahung, die er sich zur Seite wußte.
    Gleichzeitig aber kam eine schwere Melancholie herauf, weil er sich sagte, daß, wenn die große Welle von Leere, die das zuschlagende Tor hatte entstehen lassen, einmal Mildred überschwemmte, auch ihr frohes Vogel-Gemüt erschauern und verstummen müsse; daß es alsdann an ihm sei, die Kruste von Eis wieder mit der Wärme der Hand aufzutauen.
    »Es ist nicht das Heute oder Morgen, was uns bevorsteht,« dachte er. »Es ist vielleicht einelähmende Kette, die man an uns bindet, von Monaten, oder Gott verhüte es: Jahren ... Das ständige Gerassel dieser Kette wird uns zum Wahnsinn treiben, wenn nicht einer dem anderen in die Ohren schreit: Es hat einmal ein Ende, – damn it !! – Auch dieses.«
    Noch hatten sie ihr Telephon nicht. Sie warteten darauf mit täglicher Spannung, mit halb humoristischer, halb resignierter Erwartung. Unwichtiges nahm für sie fast die Form von Lebensfragen an. Es war ja im Grunde gleich, wann sie das Telephon bekamen. Aber es konnte ihnen ja etwas zustoßen; irgendeine Katastrophe (sie sprachen das Wort: »Katastrophe« nur insgeheim aus; aber die seltsame Nervosität, mit der sie auf etwas warteten, mußte über kurz oder lang dieses Etwas auf sie herabbeschwören).
    Sie konnten sich des Gefühls nicht erwehren, daß ein Schicksal sie eingekreist habe und lautlose Pfeile gegen sie abschieße von weiten Entfernungen her; daß Hiobsposten, stumme, unerkannte, sich in der Luft gewitterartig verdichteten, ohne daß man wußte, was sie bargen.
    Jeder Vorgang nahm die Bedeutung eines unheimlichen Symbols für etwas Kommendes an.

Das ferne Klirren
    Es hatte seit zwei Wochen nicht geregnet. Tagsüber sammelte sich über dem breiten Becken des Meergebietes eine brütende Hitze an.
    Seit einiger Zeit waren auch die spärlichen Brisen ausgeblieben, die sich etwa um 7 Uhr eingestellt und die halbe Nacht hindurch gedauert hatten. Das Wasser blieb, da es immer tief aus dem Grund geholt wurde, eiskalt und so mangelte diese Erfrischung nicht. Lag man aber dann nackt auf den eisernen Betten, so fühlte man förmlich, wie die spärliche Kühle aufdampfte und die Haut sich mit einer leichten Schweißschicht überzog; und es tat weh, die Augen auf etwas zu konzentrieren. Müdigkeit, die sich in halbe Apathie steigerte, bemächtigte sich auch tagsüber dauernd ihrer Körper.
    Es geschah um diese Zeit, daß die Moskitos sich vermehrten und die Jagd nach den wenigen, die sich durch das von Erwin gestoßene Dreieck in dem einen Mückennetz hindurch in das Haus verirrt, gab einen Teil der Abendbeschäftigung ab. Von zehn Uhr ab waren sie vollzählig.
    Zuweilen schickten

Weitere Kostenlose Bücher