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Der neue Daniel

Titel: Der neue Daniel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Willy Seidel
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Kluft
    Eine Woche war vergangen und eine bleierne Hitze lag auf den Hügeln von Catskill.
    Erwin saß auf einem Stuhl auf der Wiese vor dem verwahrlosten Bretterhäuschen, der »Dependence des Hauses«, in dem man ihnen zwei schlecht möblierte Zimmer gegen ein Sündengeld vermietet hatte.
    Er blickte starr vor sich hin.
    Um ihn breitete sich ein Bestand von Obstbäumen, der sich auf einem nahen Hügel verlor. Eine üppige Vegetation schnitt die Aussicht in das gegenüberliegende Tal wie eine Mauer ab, und auf der anderen Seite der Straße ackerte ein alter Farmer mit einem müden Gaul den steinigen Boden seines Besitztums um. Die Landschaft lud zur Beschaulichkeit ein; man hätte wohl wähnen können, daß Erwin sich dieser Ruhe zu einem genußreichen Schläfchen bediene ... Dem war jedoch nicht so!
    Maßlose Irritation, die ihn fast zur Bewegung, zum Denken unfähig machte, besaß ihn. Denn die Veranda des Hauptgebäudes war nicht wegzudenken; sie war da und sie hätte ihn verfolgt, hätte er sich irgendwo in den Wald gesetzt oder auf Wanderschaft begeben ... Es war Amerika , das ihn in seinen Klauen hatte und ihn nie frei ließ. So machte es für ihn keinen Unterschied, ob er sich der Meduse Blick in Blick gegenübersetzte oder sich vortäuschte, sie sei nicht da.»Friedliche Sommergeräusche« bestanden hier nur im Unterbewußtsein so wie kürzlich, als auf der sonneglühenden Straße nach Lakewood die Vision von Thüringer Hügeln und Kurpromenaden ihn befiel. Es gelang ihm nicht mehr derartig ferne Bilder plastisch festzuhalten; breite Wellen von vernichtendem Geschwätz, vom Knarren unablässig bewegter Schaukelstühle, vom Dröhnen stets dazwischenfahrender Hupen, die an dieser Kurve laut aufbrüllten, lasteten darüber und vernichteten, vergifteten alle Freuden ringsum...
    Woher kam solche Empfindlichkeit? Wo war Humor geblieben, der treue Freund?
    Mildred schlenderte über die Wiese und setzte sich im Hocksitz auf das Gras, ihr etwas schärfer gewordenes Profil halb zu ihm emporgewandt. Es war etwas kaum Greifbares, das die Beiden von jener unbefangenen Gesellschaft dort auf der Veranda trennte und sie hier allen zur Beobachtung, auf der Wiese vor ihrer »Dependence« isolierte ...
    Sie nahmen ihre Mahlzeiten pünktlich dort drüben ein. Sie lachten, scherzten mit den Leuten; und dann, mit erlöstem Aufatmen, retteten sie sich wie mit einem Sprung vor etwa dargebotenen Vertraulichkeiten, vor einem »Entgegenkommen«, das auf rätselhaft-plötzliche Art entstand und grundlos versickerte ... Mildred sah zu Erwin empor, denn sie litt mit ihm und fand es unvergeßlich, daß er am ersten Tage von der»Table d'hôte« aufgestanden war und sich mit höflicher Verbeugung vom Tisch verabschiedet... Verständnislose, halb belustigte Blicke hatten ihn schon während des Essens gestreift; als nun gar der korrekten Begrüßung eine ebenso überflüssige Abschiedsverneigung folgte, da starrten sie halb entgeistert noch nach der Tür, als verdichte sich in ihren Hirnen langsam der Satz: › That fellow must be crazy ‹.
    »Man verbeugt sich hier nicht,« sagte Mildred. »Man schubst die Leute beiseite, setzt sich, rafft an sich, was man kriegen kann, und wenn es einem paßt, geht man wieder und erwartet gar nicht, daß jemand davon Notiz nimmt.«
    Hunderterlei kleine Gebärden; Antworten von seiner Seite; Gesprächsthemen, die er anzuschneiden versuchte, – all' das wirkte wie eine Serie von Erschütterungen auf dies Volk. Irgendwie freilich versuchten sie ihn hinzunehmen, (das merkte er) und sich in ihrer bequemen Weise mit den verworrenen Gedankengängen abzufinden, die ihnen der Fremde zum besten gab; zunächst, weiß Gott, sah er ja auch wie ein halbwegs erfahrener Geschäftsmann aus ... wenigstens verriet das seine Kleidung und die Selbstverständlichkeit, mit der er heißes Wasser oder sonst eine Unmöglichkeit einfach verlangte...
    Bald kamen sie dahinter, daß seine Mittel gerade reichten, um ihn eine Zeitlang bescheiden fortzufristen; das stimmte sie um einen Schatten toleranter, wenn sie es ihn auch nicht merkenließen. Kurzum, sie duldeten ihn, weil sie sich keiner Verpflichtung bewußt wurden; und so landfremd er auch wirkte, er schien sich einzufügen und gab sich augenscheinlich Mühe...
    Heftigen Anstoß jedoch erregte die herbe, unerträglich eingebildete Engländerin, der man sich doch mit offenen Armen zu begegnen mühte... Man fühlte sich ihr doch jetzt schon sozusagen »alliiert«! –
    ›Ein

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