Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Der neue Daniel

Titel: Der neue Daniel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Willy Seidel
Vom Netzwerk:
ignorieren, eine Stimmung würde geschaffen, in der es sich noch zu atmen verlohnte.«
    Er beschloß, sich aus der Leihbibliothek in Lakewood eine Liste von Autoren zusammenzustellen und sich mit Gewalt in eine andere Welt zu versetzen, in die heitere menschenwürdige Welt einer Friedenskultur, der man so unverantwortlich gewaltsam entrückt war.
    »Ich will mir alle Sensationen meiner Knabenträume, den bunten Schimmer einer einst so greifbaren Zukunft mit Gewalt zurück zwingen... Ich will dies alles nicht sehen. Ich will hier mit dem Körper existieren, aber mein Geist soll zeitlos, gewichtslos sein, an keinen Ort gebunden.«
    Seltsam getröstet betrat er das Haus und traf Mildred einsam, mit nichts beschäftigt und vor sich hinstarrend im Wohnzimmer an. Sie nickte kurz, als ob der Gedanke ihr selbstverständlich sei.
    »Wenn du es fertig bringst, wo anders hinzureisen, dann nimm mich mit.«
    Sie beschlossen dieselben Bücher zu lesen und in der nächsten Woche vermochten sie unbefangen in der Welt großer Persönlichkeiten zu Gaste zu gehn, heiter und beschenkt aus einem Gartentor in ein anderes schlüpfend.
    So lebten sie in einem Scheinparadies, bis auf einmal die schützenden Zäune zusammenstürzten und die Wirklichkeit ihnen nüchtern-nackt entgegen drohte; öde gleich dem Ersten Ring des Inferno.

Fluchtversuch
    Es war abends und Mildred saß Erwin wie gewöhnlich gegenüber, in ein Buch von Blackwood vertieft.
    Es war einer jener halbmystischen Versuche des Schotten, die Natur zu personifizieren; diesmal verblüffte er durch die große Kunst, mit der er ein gewagtes und ganz unkörperliches Problem handhabte...
    Mildred legte das Buch mit abrupter Bewegung weg und sah ihn starr aus ihren meerfarbenen Augen an. Er hatte diesen Ausdruck in letzter Zeit zu oft bemerkt, um ihn nicht sofort deuten zu können. Es war der Ausdruck aus der hölzernen Grabkammer dort draußen; ein gehetztes Licht war darin, als sei sie – wie damals körperlich, so diesmal seelisch, – in eine plötzliche Sackgasse geraten.
    Draußen stand die Schwärze wie Eingänge von Höhlen vor den Mückenfenstern.
    Einsilbiges Geräusch der großen lederartigzähen Ahornblätter ward hörbar.
    Ein Kauz klagte; tiefer im Wald hörte man das unverständliche Plärren des entstellten Kindes, als fahre es aus dem Schlaf und schreie kurz nach Licht.
    Man konnte sich in diese Schwärze nichts hineindenken als Kerkerstangen ... Ja horch! – wieder war es da, jenes feine peinigende Geräusch, das irgendwie mit den mächtigen Entfesselungenvon Metall in weiter Ferne verwandt schien als winziges Echo, das gleichwohl schon Anschluß gefunden, und das sie mit übler Warnung verfolgte.
    Der triefäugige Hund draußen murrte kurz auf und keuchte; dann schlug wieder die Stille über ihnen zusammen, durch nichts zerbrochen als durch das leise Sieden des Öls in der Lampe und Mildreds beschleunigte Atemzüge. In ihren Pupillen dämmerte eine plötzlich so starke Angst vor dem Nichts auf, Ratlosigkeit vor einer Mauer , daß er sich sofort sagte: ›irgend ein Entschluß muß gefaßt werden‹.
    Endlich kam es schier tonlos, mit einem Zischen, aus ihrer Brust: »Es geht nicht so weiter; wir müssen weg, oder ich werde verrückt und beschließe meine Tage in der Spruce-Street... Wenn du aber noch etwas von mir retten willst, was dich an früher erinnert, so nimm mich schleunigst weg, wenn auch nur auf kurze Zeit, vielleicht eine Woche...« »Gut,« sagte er einfach, ohne sich im geringsten zu sträuben, »auch mir wird sie schier ein bißchen zu viel, die beneidenswerte Ruhe, von der Mr. Bradshaw sprach... Man kann auch zuviel davon bekommen.« –
    Hinter seinen Worten versteckte sich ein plötzliches unaussprechliches Grauen, das Grauen eines, der halb unbewußt auf trügerischer Sumpfdecke gewandert ist und sich im plötzlich aufgurgelnden Wasser zur Rückkehr wendet. –
    Auf einem weißlackierten Raddampfer fuhren sie den Hudson hinauf, dessen Ufer-Monotonie, ganz von Fabriken besät, bald welligeren Linien, von grobbestandenem Laubwald bedeckten Hügeln wich. Wie zartes Spinnennetz hing die Eisenbahnbrücke von Poughkeepsie in der Luft; sie schrumpfte hinter ihnen zusammen; und von jetzt ab schien das rein mechanische Getriebe der Riesenstadt wie hinter einem Tor zu verdämmern, das zu größeren Freiheiten führte.
    Stinkende Qualm-Fetzen verräucherter Schlote verflogen vor einer Bergbrise. Gehämmer und Dröhnen verklang; leiseres Brodeln zerrann im

Weitere Kostenlose Bücher