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Der neue Daniel

Titel: Der neue Daniel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Willy Seidel
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Rauschen keuscherer Wellen. Summen von Sirenen, das den ganzen mächtigen Fluß von der Werft bis nah an die Brücke gesäumt, ging in einsamerem, innig begrüßtem Mövenschrei auf.
    Erwin und Mildred saßen auf dem Vorderdeck, auf kleine Klappstühle gezwängt, eingekeilt zwischen junges Publikum, das diesen Ausflug mit der stoischen Temperamentlosigkeit des Landes gleichsam nur als Geldausgabe hinnahm, die man sich schuldet. Es war gut angezogene Mittelklasse: Buchhalter, Bankangestellte, Verkäuferinnen, Agenten, die von kleinen Firmen ein Salair bezogen, das gerade mit einem winzigen Bruchteil über ihre kärglichen Bedürfnisse hinausging.
    Derlei unbekümmerte, phantasielose Leutchen gab es mehr; sie biederten sich mit einer den beiden Europäern fremden Selbstverständlichkeitmiteinander an, spieen über das Geländer oder befaßten sich auf trockene Art mit der Weiblichkeit, die es nicht anders von ihnen zu erwarten schien. Sie saßen mit diesen appetitlichen Mädchen zusammen, ohne etwas anderes zu tun, als die Kinnbacken in wählender Bewegung zu erhalten und überließen es den Damen, den dünnen Faden sehr materieller Gespräche bis zur äußersten Unscheinbarkeit zu strecken.
    Dies gegenseitige Anöden, diese äußerste Harmlosigkeit war ein Element, das man mit einer einzigen Bemerkung in ein hilfloses Chaos hätte verwandeln können, hätten die Leutchen Ironie genug besessen, um den Charakter einer solchen Störung wenigstens zu ahnen. So aber rann das mundfaule Gewäsch dieser ausgeleerten, doch nie ausfüllbedürftigen Menschen wie ein schleimiger Strom über das ganze Schiff.
    Hie und da gab es prustendes Gelächter über ein läppisches Nichts; man sagte sich handfeste Wahrheiten, man begutachtete einander, man plätscherte in Zahlen, in sportlichen Ereignissen der letzten Abendausgabe; und wenn es vorkam, gab man eine Meinung ab über dieses oder jenes Filmdrama, nach dessen Genuß man etwa noch auf einem Dachgarten einen Icecream-Soda zu sich genommen habe ...
    Äußerlich betrachtet waren es alles gut gebaute, hübsche Menschen. Man sah weiße Zähne blitzen, sah gebräunte Gesichter, gut und knapp geschnittene Hemden und Blusen. Wo sich dasjugendliche Blut Bahn brach, so geschah es in primitiver Weise, so daß man an die Ausbrüche von jungen Hunden gemahnt ward, die halb toll vor dumpfem Betätigungsdrang an ihren Leinen zerren.
    Doch die Leinen, an denen diese Menschenpuppen hingen, waren grausamer als die junger Hunde. Es war ein System von Stahldrähten, an denen sie zupften und die ab und zu in der Faust eines seelenlosen Kolosses – der dort hinten mit Millionen von Bureaufenstern wie mit halbblinden Augen nach ihnen starrte und sie gierig hypnotisierte – leicht gelockert wurden, um sich dann um so schneidender wieder zusammenzuziehen.
    Amerikanische Jugend, wie seltsam führst du irre! Gibt es Kinder?
    Ja, Kinder sind da; schön gewachsene, du siehst blendende Glieder, schimmernde Augen, kindlich lechzende Lippen in erhobenem Antlitz dieselbe Luft schlürfend, die um die bronzene Fackel weht hoch dort, wo die Hand der Freiheitsgöttin sie gebieterisch und pompös emporstößt ... Man verwöhnt dich; man kleidet dich vorbildlich; man nährt dich mit den unermeßlich aufgespeicherten Schätzen des Kontinents; man setzt dir leuchtende Vorbilder ins Hirn, jenen sanften Lincoln und stürmenden Washington; man erzählt dir, du seiest Erobererrasse; du habest Neuland vor dir für Leib und Seele... Man erzieht deinen Geist in großzügigem Drill, der nichts mit Kaserne zutun zu haben wähnt; man stachelt deinen Ehrgeiz an, deinem Körper sein Recht zu geben durch athletische und muskelbildende Spiele... Und dann: was tut man?!...
    Auf das ganze erhebende, der Alten Welt so fremde Programm prägt man einen Stempel, der es grausam entwertet!!
    Die Entwertung heißt: »Mache Geld.«
    Die Entwertung heißt: »Du bist nicht Vollmensch, eh' du nicht Konkurrent bist.«
    Und die ermüdende, stets auf der Lauer liegende, erkältende Idee der Konkurrenz wächst neben diesen Geschöpfen auf, gleichzeitig mit dem unbekümmerten Wachstum der schönen Pflanze, wie ein grotesker Giftpilz, in dessen Sporenregen die Blüten verkümmern. Die amerikanische Stadt saugt die Jugend an und macht sie zur Maschine.
    Man ließ ihren Körper streng harmonisch gedeihen, nur um sein Verwelken zu bemänteln, zu verzögern; nur um sein Erstarren im »Geschäft« in die Länge zu ziehn ...
    Wo gibt es ein Kind, das sich

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