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Der neue Daniel

Titel: Der neue Daniel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Willy Seidel
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mit zwanzig Jahren selbst entdeckt mit unheimlicher Freude und süß beklemmendem Erschrecken vor ungenutzten Möglichkeiten?
    Wo ist die ahnungsvolle Seele; wo das Tasten, das rührend-hilflose; wo die tiefere Inbrunst geistiger Erfolge?
    Da stehst du, spreizbeinig, amerikanischer Knabe! sehr tüchtig bist du; brauchbar und praktisch. Du gehst der Welt zu Leibe; aber du weißt nichtsvon der Welt. Du mordest die Natur mit einem Augenblinzeln. Du erledigst Gefühle mit blankem Lächeln. Dies Lächeln stand dir gut, als du dich mit vierzehn erhaben dünktest; es ward zur Maske, als du mit zwanzig die Welt in die Tasche stecktest, und es ward vollends zu aufreizendem Grinsen, als du geistig verbraucht, erfolgreich und satt deinen eigenen Sprößling »smart« fandest, denselben, den wir jetzt vor uns sehn mit zähen Schenkeln und gesunden Zähnen...
    Und das Mädchen beschließt ihr Leben mit dem frühen Moment, wo es sich ein »Heim« schafft; ihr geistiges Niveau, auch wenn es Entwicklung versprach, sinkt langsam bei Inangriffnahme tausend unendlich belangloser »praktischer« Fragen; sinkt zu den Kindern herab, die sie unmutig gebiert und deren Wachstum sie wiederum in Rückentwicklung begleitet...
    So gibt es Tausende, denen das häusliche Leben der Frau und das Geschäftsleben des Mannes nichts als einförmig maschinelle Funktion bedeutet... Die Wenigen, die Geld als Mittel und nicht Zweck des Lebens betrachten..: ach diese Wenigen von echterem Geiste, du siehst sie kaum! Und wenn du sie siehst, so begegnest du ihnen in einer Sphäre entrückter Überlegenheit; sie verschmelzen die Daseinsführung ihres Mutterlandes mit der Europas; sie schlagen feine, noch sehr fragwürdige Brücken über die Kluft, vom trägen, ideenschwangeren Osten herüber zudem Ameisenhaufen im Schutz des Sternenbanners ... Das Gros aber dieser hundert Millionen ist unfruchtbar in höherem Sinn.
    Dies waren Gedanken, die Erwin schon öfter gestreift, halb unbewußt; in diesem Augenblick wurde ihm die Fremdheit mit dem völkischen Lebensgedanken in verschärfter Weise deutlich.
    Er witterte Opposition zu seinem eigensten Wesen, die er zu normalen Zeiten wohl nicht so heftig verspürt hätte. Gegensätzliche Stellungnahme ist selten mit Wohlwollen verquickt. Es müßte ja sehr schön sein, dachte er, sich von diesem Strom der Harmlosigkeit treiben zu lassen; wir haben es mit unserem europäischen Denken wahrhaftig nicht leicht; und Ameisen sind beneidenswert. Er sah nicht streng aus, sondern in seinem Blick war eher etwas Suchendes, das die blanken Augen ringsum zu einem flüchtig verblüfften Verweilen zwingen mochte.
    Aber dies Verweilen schlug keine Fäden zu ihm herüber, sondern stellte, so dünkte ihn, deutlich erkennbare Scheidewände auf. Mildred ihrerseits war in der Haltung, wie sie saß, in dieser zusammengerafften Kurve des sitzenden Körpers der übergeschlagenen Beine, die verkörperte Opposition; und wenn Erwins Blick etwas mutig Fragendes zu tragen schien, so war der ihre kälter und ablehnender denn je. Dies beunruhigte ihn dunkel. Zur Erleichterung der Verständigung trug es nicht bei.
    Eine Weile waren sie an Grün vorbeigeglitten, an hervorblitzenden Landhäusern im Kolonialstil, die ihre weiten Prunkwiesen bis zum Ufer hernieder schickten. Auf einmal sprang das Gesicht des Landes wieder grell hervor mit Backsteinhäusern, die von Fabrikgebäuden durchsetzt in zackigen Klumpen die Ufer schändeten.
    Jede Haltestelle entließ einen Strom gleichgültiger Menschen und schickte einen neuen ebenso gleichgültiger dafür an Bord. Sie waren acht Stunden unterwegs; und Erwin hatte noch keine Gäste bemerkt, die ihm aufgefallen wäre; keinen Ausdruck, der ihn flüchtig interessiert hätte ...
    Der Abend dämmerte, als sie in Catskill eintrafen, um sich bei einem Chauffeur nach einem ruhig gelegenen ländlichen ›Boardinghouse‹ zu erkundigen. Sie hatten das Gefühl, daß mit dem Herausgreifen des nächsten Besten das Schicksal beeinflußt werden könne, denn alles, was sie bisher bewußt getan, war ihnen zur Enttäuschung gediehen. So überließen sie sich der Maschine, die sie langsam über das holprige, grell erleuchtete Pflaster des Landstädtchens schleppte und sich dann mit ihnen in die Nacht hinein vergrub.
    Nach halbstündiger Fahrt über welliges Terrain, das an tiefen Tälern vorüberführte, blitzte eine Laterne auf und beschien grell ein Plakat, auf dem zu lesen stand: » The Glencliff. – Stop right here. «

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