Der neue Daniel
Starren in der Grube – ? – ? ... Wann empfinden meine Nüstern den Blutdunst zerschlitzten Fleisches??« ... Zuweilen rascheln die Falten weiter Ärmel. Ein scharfes Profil hebt sich bis ins halberblaßte Sternenlicht. Der Schattenriß eines langen, steifen, kunstvoll gekräuselten Bartes steigt zuckend auf und ab. – – Und wieder vermeint Daniel die Worte zu hören, die er schon einmal als Gezisch vernommen aus diesem selben gesalbten Barte hervor: »– – Dein Gott – dem du ohne Unterlaß dienst – der helfe dir!!«
»Ohne Unterlaß!! – Ohne Unterlaß...« – – – Er strafft sich; er steht auf. Er senkt seinen Blick in die grünen, von fließendem Opalglanzmolkig durchwallten Lichterpaare, die ihn umkreisen. Er sieht sich von diesen schillernden Katzenaugen selbst gespiegelt: – als verschwommenes weißes Kreuz in der Dunkelheit.
Und er greift in den Stein. Seine eiseren Finger tauchen in den Granit; die Handteller sind nach innen gedreht und fiebern danach, sich zu füllen. – – Denn er fühlt eine unerkannte Gegenwart, – ein lichtes Etwas –, – einen Freund in der Mauer... denselben, dessen Kleid die Morgensonne bläht, wenn sie durch die offenen Fenster seines Sommerhauses funkelt. »Man kann mich nicht –« denkt er wütend, »– zur Andacht vor Götzen zwingen, deren Wesen mir fremd ist!! – – Ich grabe dich aus der Mauer, o Freund, o Siegel, o Wort!!«
Und siehe: Die dunkle Gestalt dort droben auf der Brüstung seufzt heftig auf. Die herabhängenden Edelsteinketten werden emporgezogen; die Ärmel schwanken zurück und entschwinden. Er aber, Daniel, fühlt sich von hinten umfangen. Er hört ein Flüstern: die Kraft, die er aus der Mauer gegraben, steht hinter ihm –: – eine stumme, Macht aussondernde Vielfalt seiner selbst, ein sanftleuchtender Dämon, geschlechtslos und riesenhaft; – – mit leidendem, mit unantastbarem Lächeln, und groß wie ein Turm.
Die grünen Lichter schrumpfen zusammen. Sie glimmen aus der Ecke, aus einem trägen Haufen aufeinandergeballter Schatten: Irrwische, die ein Morgen verscheucht – – Und fern, fern, verklingtdas Klirren der Gewappneten in den Höfen ...!
Erwin schrak auf.
Die obere Glasverkleidung der Fenster zitterte noch nach von verhaltenem Donner. Aufrauschendes Rascheln geschah ... Träge Windstöße schleppten leise Linderung herbei. – – – »Wenn es doch endlich, endlich regnen würde!!«
Er rührte die Glocke; doch drunten, im Wohnzimmer, blieb es still. Angst ergriff ihn; er versuchte aufzustehn, war aber zu schwach. Er klingelte heftiger; endlich regte es sich.
Sein Gehör folgte, schmerzhaft gespannt, leichten Schritten.
Auf einmal stand sie, Mildred, wie ein Schatten in der Tür – – den einen Arm tastend an der Wand, den andern gestreckt und die Klinke erfassend. – – Sie fragte: – »Brauchst du mich..?«
Und in ihrer Haltung glich sie (er konnte sich nicht erklären, wie er auf den seltsamen Gedanken kam) einem verschwommenen weißen Kreuz .
Zweiter Teil
Der Fall des Leutnants Zuckschwerdt
Er führt sich ein
Erwin stand vor dem kleinen Tunnel unter den Zweigmassen des großen Wacholderbaums. Hier hatte er sich einen Tisch und eine Bank aufgestellt und nannte es seine Arbeitshöhle. Aufgeschlagene Bücher lagen dort, Hebbels Tagebuch und einige Manuskriptblätter... Das Laub war so dicht, daß es kaum einen Regentropfen, geschweige denn einen Sonnenstrahl durchgelassen hätte. Grüne Dämmerung herrschte, und die einsame Bekennerstimme des kranken Titanen Hebbel schien eingefangen wie der Ruf des Meeres in der Muschel. War es nicht, als schwebten noch einzelne Seufzer aus einer zeitlich und räumlich so fernen deutschen Leidensgruft umher? – Kostbarer Geist, hier bist du unverständlich; nur in verstecktestem Winkel vermagst du Schattenflügel zu regen! –
Übermannshohe Wiesengewächse verdeckten die Aussicht in das Tal. Das Haus, das Erwin jetzt bewohnte, stand auf dem Abhang eines Hügels mitten in Ohio, in der Gegend Cincinnatis auf dem Lande, unfern einer kleinen Bahnstationnamens Tower-Hill; doch hätte es ebensogut auf der Luftlinie aller Radien stehn können, die von ihm ausstrahlten über den Kontinent; und nirgends hätte es Befremden erregt. Es war eine zweistöckige Villa: zusammengenagelte Latten auf einem Backsteinfundament mit einer gaisblattumwucherten Veranda.
Nichts erinnerte in dieser Gegend daran, daß die amerikanische Kriegserklärung bereits drei Monate alt war. Der
Weitere Kostenlose Bücher