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Der neue Daniel

Titel: Der neue Daniel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Willy Seidel
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Blutes, diese mühsamerzwungene Harmonie entwertet sein sollte durch ein wenig verpestenden Schmutz? – – Denn was ist Krankheit anderes??«
    Sie dachte des Windes, der in fauchender Reinheit über die Heidehügel von Sussex fährt, und ihr Körper sträubte sich. Sie blühte gliederrein, keck und klar; sie, Feindin allen Schmutzes. Nur um den Schlaf wegzuhalten, hatte sie sich dem Gift genähert und es mit starkem Griff bewußt gebraucht. – – »Ich darf ihm«, dachte sie dabei, »halbwegs auf dem unreinen Pfade folgen, den er gehen muß. Mein Schlaf wäre sein Ende. Das darf nicht sein.«
    Sie sah ihn plötzlich in die Lehne zurücksinken. Schatten lagen unter seinen kaum gespaltenen Lidern, durch die fiebertrockenes lebloses Email matter Augäpfel schimmerte wie ein bläulicher Strich. Seine starkknochige, nun so kindermatte Hand fegte mit resignierter Bewegung die Figuren zu Boden. Sie unterdrückte den Impuls, aufzuspringen; Angst flammte auf.
    Ein Krach folgte; ein Geräusch vor dem Fenster wie das Zerreißen von Seide. Gemarterte Luft zuckte nach ...
    Einen Moment war ihr gewesen, als sinke Erwin mit zerstörten Konturen ins Polster zurück und trete entweichend hinter den Stuhl. Doch als das kurze Aufächzen der Natur vorüber war, sah sie ihn wieder am alten Platz, halb schlafend, wie ihr schien.
    »Es wird gut sein, ich bring ihn ins Bett, solanger noch halbwach ist,« dachte sie. Sie rüttelte an seiner Schulter; er stand mühsam auf und ging tappend, wie zuvor, in die Kammer hinauf; ins Bett. Sie ordnete seine Kissen und legte ihm die Klingel nahe; er sah dies alles und dachte: »Ich stelle mich am besten müde; dann hat sie für ein paar Stunden Ruhe.« Kaum war sie jedoch aus der Kammer, als seine heißen Augen sich öffneten und groß und glanzlos zur Decke hinaufstarrten...
    Mildred blickte beim Hinuntergehn kurz in die Küche und bemerkte, daß Lia noch in gleicher Stellung in der Ecke saß. Einen Anruf erwiderte sie nicht. Sie befand sich offenbar in der Trance, die äußerste Angst erzeugt. Zuweilen durchlief ein Zittern die nackten Schultern, von denen die Bluse zerfetzt herabhing. Mildred strich ihr mit der Hand über den Rücken; es war, als berühre sie lebloses Holz. Achselzuckend ging sie zum Wohnzimmerkamin zurück.
    Hier setzte sie sich, die Hände ums übergeschlagene Knie geschlungen. Sie legte den Kopf an die Lehne und schloß die Augen. Doch der Schlaf mied sie. Sie fuhr fort, alles zu hören, was um sie vorging. Sie saß wie in einem Bann; unfähig, ein Glied zu rühren. Sie war tödlich erschöpft.
    Das Gewitter hatte für den Augenblick an Kraft eingebüßt; es donnerte ferner und blitzte seltener. Doch das war nur eine Pause... Das Unwesen hatte sich zurückgezogen, um sich auseinem Klumpen schwangerer Wolken, die der unersättliche Horizont inzwischen geboren, neu zu speisen. Dort entwarf es frischen Kriegsplan in murmelnder Zwiesprache. Jetzt, da sich die neuen mit den alten Massen trafen, gab es knirschende Reibung. Verschmolzen quollen sie wieder herzu. Das Knirschen wuchs; ungeheurer Schall schlug dröhnend in den Raum; wiederum erblühten die Risse an gelbgrauer Kuppel. Wie eine erstickende Last von Wolle hing die Atmosphäre über den Fichten; kein Wipfel zitterte, kein Blatt schwankte. Es kehrte der Dunst zurück, jener dauernde Fieberschmerz des Himmels ohne den lindernden Balsam eines einzigen Tropfens ...
    Mildred riß die Augen auf.
    Es hatte im Kamin gepoltert; – – wie in den dunklen Schacht ihrer eignen halbirren Seele war eine weiße Flammengarbe herabgefahren und zischend verloschen, Schwärme von Funken verspritzend wie ein Feuerwerk. Der Nachhall eines wüsten Geschehnisses bebte noch um sie her wie das Echo von Schreien. Hatte sie geschlafen?? – – Ihr Herz pochte wild.
    Es war ganz dunkel geworden. Sollte sie die Lampe entfachen?
    Die Rechtecke der Fenster waren schwarz. Doch da – –: in zuckender Lebendigkeit hervorgezaubert und tückisch ausgetilgt, sprangen sie violett aus der nächtlichen Wand. Haarfein erglomm jedes Drähtchen. Unaufhörliches Knattern umstand das Haus. Ströme verästelter Entladungenrannen verwebt zu einem Vorhang von Phosphor an den Rahmen herab.
    Mildred ließ sich kraftlos in eine bequeme Lage gleiten. In all dem Tumult sank sie zurück und ballte die Hände auf den Knöpfen der Seitenlehnen. Ihre Beine streckten sich eng zusammengeschmiegt; ihr Körper wurde starr vom Willen, dies alles zunichte zu machen dadurch, daß

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