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Der neue Daniel

Titel: Der neue Daniel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Willy Seidel
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Hochsommer des Jahres siebzehn trug hier das Gesicht der früheren. Der »Kleine Miami« schlängelte sein silbriges Lehmgrau durch Gruppen kompakter Erlen oder an einzelnen turmhoch ragenden Pappeln vorbei, die wie Stümpfe eines Riesenhains der Vorwelt die Landschaft sprenkelten. Die Hügel trugen gelichtete jüngere Waldbestände. Ein breiter blendender Glanz erfüllte den Umkreis. Eine durch kochende, schier tropische Glut hervorgelockte Fruchtbarkeit zwängte sich in alle von Menschenhand gehackten Lücken und überspann sie neu: Unendliche Einfälle Gottes; zitternder Formenreichtum.
    Die Luft über der abfallenden Wiese schwang wie hinter blasser Flamme, durchbraust vom Sieden der Pflanzensäfte und vom Geschwirr schönfarbiger Wespen. Nichts tat Erwin lieber, als diese Wiese langsam zu durchqueren; mit zärtlich wachsamem Knie durch das Dickicht neue Gänge zu stoßen, die sich aufschnellend hinter ihm schlossen.
    Er war stärker geworden, behäbiger wohl auch:die Behäbigkeit einer stumpf harrenden Resignation ohne unmittelbarste Brotsorge ... Sein Gesicht war farblos, wenn auch nicht ungesund. Doch sein Blick bekam etwas Entgleitendes, sobald er fernere Gegenstände zu fixieren suchte.
    Mr. Bye, der Farmer auf dem Nebengrundstück – der gerade in die Beschäftigung vertieft war, Maishülsen zu rupfen – warf einen Blick hinüber und deutete sich murmelnd an die Stirn. Was wohl dieser beschäftigungslose Dutchman da wieder in der Wiese machte! – Er war ja freundlich; es war kein schlechtes Auskommen mit ihm. Aber Mr. Bye hatte sich längst berichten lassen, daß jener ein Deutscher war. Man hatte ihm geraten, ein halbes Auge auf die Bewegungen des Fremden zu halten; – hatte er, Mr. Bye, der semmelblonde lattendürre Farmer-Zimmermann, das aber nötig! – He! – Er wußte nur zu gut, daß seiner eigenen Verschmitztheit nichts entgehen könne; daß jener zu korpulent war und zu durchsichtig zugleich, um jemals auch nur den kleinen Finger für Spionage oder sonstige tiefkriminelle Unternehmungen zu rühren ... Außerdem wußte der Farmer, daß es außer dem seinen noch mehr halbe Augen gab, die sich in regelmäßigen Zeiträumen der kompletten Ungefährlichkeit des Fremden versicherten. Seine Bauernbedenklichkeit wäre auch nie erwacht, hätte er Phantasie genug besessen, zu begreifen, was Erwin tat. Aber er begriff es nie!
    Erwin hatte Momente, wo er jung und kleinwar und sich in einem Garten im Herzen Mitteleuropas beschaulich fühlte. Mit zerschrammten Knien saß er auf dem Boden und erlebte atembeklemmende Andachten vor dem Wunder eines Schmetterlings, der ruckweise unter der Hutkrempe enthüllt ward; dessen Zappeln man dämpfen mußte, um ihn zwischen spitzen Fingern betrachten zu können ... Erwachsene Menschen in Amerika, selbst wenn sie solche Momente haben, vermeiden es, in den Verdacht zu kommen, kurzhosig zu sein, das heißt: zu träumen. Es gibt dort keine Wunderdinge, die man mit Hüten aus der Luft holt.
    Jetzt stand der Deutsche wieder auf und wurde dadurch um zwanzig Jahre älter. Er schützte seine Augen und blickte umher, während Mr. Bye sich murmelnd wieder seinen Maishülsen zuwandte. Erwin genoß sein tägliches Panorama: die Schwalbenschwänze dieses Himmelsstrichs. Da war der Turnus, der in Gruppen auf den Dolden saß unter eitlem Beben leuchtend-zitronengelber Schwingen. Da schoß es schwarzblau vorüber: der Ajax mit bräutlicher Schleppe; wie ein getigerter Pfeil. Erwin kannte sie alle; sie waren seine Freunde, seine Geschöpfe. Sie waren eine stumme Gemeinschaft unbefangen flatternder, ihm innigst verwandter Wesen. Sie wußten nichts von den anschwellenden Energiekrämpfen der Menschenhirne nach zwölf Monaten tagtäglicher Peitschenhiebe; tagtäglicher Mißhandlung und Irreführung! –
    Die Türglocke unten erscholl. Erwin fuhr auf und ging weiter. Dort am Fuß des Hügels, auf der pulverweißen Straße stand ein kleines Automobil; und schon sah er Mildred um das Haus herum kommen in Begleitung eines Mannes. Was an diesem Mann sofort auffiel, war eine eigentümliche Art zu gehen. Es war als trete er die Luft vor sich nieder.
    »Besuch«, dachte Erwin. »Aber wer in aller Welt kann das sein?«
    Mildred stieg ihm allein entgegen. Der Mann machte Halt und stellte sich auf bescheidene und doch selbstbewußte Weise in den Hintergrund.
    Mildred schien erregt.
    »Du, ein Deutscher; er hätte von dir gehört. Heißt... Sökswert... oder so ähnlich; wünscht dir vorgestellt zu

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