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Der neue Frühling

Der neue Frühling

Titel: Der neue Frühling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Silverberg
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machst du ja einen Zinnobärhaufen aus einem Mückenschiß. Die Kleinen haben Kundalimon geliebt, gewiß. Er hat sie unterhalten – und bezaubert. Hat ihnen interessante Sachen erzählt. Und nun trauern sie um ihn. Bringen seinem Geist Opfergaben. Ich hab sie dabei gesehen, als ich heute hier herüberkam. Harmlose Liebesgesten, weiter nichts, eine Gedenkdemonstration. Und in einigen Tagen ist das alles vom Wind verweht. Der Junge wird zu einem Teilchen der Geschichte werden, einer Episode, die Hresh in seiner Chronik erwähnt, und das war es dann auch schon.«
    »Und wenn du dich irrst? Wenn es statt dessen zu einer Revolution käme? Was dann, Boldirinthe?« Er fuchtelte erregt mit den Händen herum.
    Aber sie hatte jetzt wirklich genug.
    Sie sagte: »Sprich mit Taniane, Husathirn Mueri, wenn dich derartige Probleme plagen. Ich bin eine fette alte Frau, und wohlgemerkt, sehr fett und sehr alt, und wenn sich da irgendwann Veränderungen ergeben sollten, sofern es Veränderungen sein werden, dann höchstwahrscheinlich erst, wenn ich nicht mehr da bin und sie nicht zu sehen brauche. Aber falls ich noch da bin, weißt du, ich hab in meinem Leben bereits mehr und größere Veränderungen erlebt, als du dir vorstellen kannst. Und ich verkrafte durchaus noch ein paar mehr. Und jetzt laß mich endlich gehen. Und Mueri schenke dir Frieden, ja? Oder auch Nakhaba, wenn du das lieber hast. Mir sind alle Götter gleich.«
    »Was? Aber du bist doch den Fünfen eidverschworen!«
    »Die Fünf sind meine Götter. Aber alle Götter sind göttlich.« Sie schlug das Mueri-Zeichen gegen ihn, schob sich langsam an ihm vorbei und watschelte die Stufen hinab zu dem wartenden Wagen.
    Der Junge trug den Namen Tikharein Tourb. Und er war neun Jahre alt. Er trug das schwarzgelbe Amulett des Nest-Wächters auf der Brust.
    Das Mädchen hieß Chhia Kreun. Sie trug ihr Amulett am Handgelenk.
    Sie standen vor einer Gruppe aus elf Kindern und drei Erwachsenen. In dem Kellerraum waren aromatisch duftende Zweige hochaufgetürmt, und der starke stechende Geruch des Sippariu-Safts mischte sich mit der Süße der Dilifar-Nadeln, so daß die Luft beinahe berauschend schwer war.
    »Faßt euch an den Händen«, sagte Tikharein Tourb. »Alle! Berührt euch! Schließt die Augen!«
    Chhia Kreun, die dem ganzen Gezweig am nächsten war, geriet praktisch in eine Trance. Sie begann lallend zu singen und stieß unbekannte klobige und grobe Worte aus. Vielleicht waren es hjjkische Laute oder Wörter. Wer hätte das sagen können? Aber es waren die Laute, die Kundalimon sie gelehrt hatte. Ihre Bedeutung kannte keiner. Jedoch sie klangen sehr heilig.
    »Und alle!« schrie Tikharein Tourb. »Na, macht schon! Alle sprechen jetzt die Worte! Also sprecht! Sprecht! Es ist die Anrufung der Königin!«
    Die Verhandlungen – soweit man davon sprechen konnte – traten auf der Stelle. Seit ihn die Nachricht von den zwei Morden in Dawinno erreicht hatte, war Thu-Kimnibol in ein tiefes schwärzlich brütendes Nachdenken versunken. Salaman beobachtete ihn mit Erstaunen und wachsender Beunruhigung. Den ganzen Tag lang stapfte er wie ein riesenhaftes Tier durch die Gänge des Palastes, und bei den abendlichen Königsgelagen blieb er nahezu stumm.
    Ihn beunruhige, sagte er jedenfalls, die Verspätung der Herbstkarawane aus Dawinno. Ihre Ankunft hatte sich schon um neun Tage verzögert. »Wo sind sie denn?« fragte Thu-Kimnibol immer wieder. »Wo bleiben sie denn?« Er schien an gar nichts mehr denken zu können als an das verspätete Erscheinen der Kaufleute. Aber dahinter mußte mehr stecken. Ein paar Tage Verspätung, das reichte nicht als Erklärung für soviel ärgerliche Besorgnis.
    »Gewiß herrscht drunten im Süden irgendwo übles Wetter«, versuchte Salaman den Gast zu besänftigen. Wenn der in einem solchen Zustand der Unruhe war, wurde er einfach zu unberechenbar, zu aufbrausend. »Schwere Stürme vielleicht, unterwegs, Überschwemmungen auf den Landstraßen, irgend sowas…«
    »Stürme? Wir hatten doch einen goldenen Herbsttag nach dem anderen!«
    »Aber vielleicht da drunten im Süden…«
    »Nein. Die Karawane verspätet sich, weil es in Dawinno einigen Ärger gibt. Wenn Mord und Totschlag erst einmal beginnen, wohin kann das führen? Nein, bei mir zuhaus herrscht irgendwie Unruhe und Aufstand.«
    Aha, das bekümmert ihn also, dachte Salaman. Er glaubt immer noch, er hätte sofort heimreisen müssen, sobald er von den Morden erfuhr. Er plagt sich mit Schuldgefühlen

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