Der neue Frühling
Der Mann war zwar in Yissou geboren, aber er hatte fast sein ganzes Leben in Dawinno verbracht. Seit Jahren stand er als Agent in Salamans Diensten.
»In Dawinno geht es drunter und drüber«, begann er seinen Bericht. »Deshalb sind wir so spät dran. Wir konnten deswegen nicht früher aufbrechen.«
»Hm. Berichte!«
»Du weißt doch, daß ein Knabe namens Kundalimon, den die Hjjks vor vielen Jahren aus Dawinno geraubt haben, in diesem Frühling in seine Stadt zurückkam und…«
»Ja, natürlich weiß ich all das. Ich weiß auch, daß man ihn ermordet hat und auch den Chef der Stadtwachen. Das ist doch altes Zeug!«
»Aha, du weißt das also schon alles?« Gardinak Cheysz schwieg eine Weile, wie um seine Gedanken wieder in die rechte Richtung zu bringen. »Schön, sehr schön, mein Herr!« Aus einem der Vorhöfe des Palastes drangen wilde dudelnde Geräusche, ein schrilles Gepfeife und lautes Lachen. »Aber, mein Herr und König, weißt du auch, daß am Tag, an dem die beiden Morde geschahen, die Tochter von Häuptling Taniane dem Wahnsinn verfiel und aus der Stadt verschwand?«
Das war neu. »Nialli? Heißt sie nicht so?«
»Ja, Nialli Apuilana. Ein schwieriges, ein aufsässiges Mädchen.«
»Was anderes als Aufsässigkeit und Schwierigkeiten hätte man denn von einem Kind von Taniane und Hresh erwarten sollen?« Salamans Lächeln war scharf. »Ich kannte Hresh, als er ein Kind war. Wir waren zusammen im Kokon. Himmel, war das ein wilder, verrückter kleiner Bursche… Immer hatte er was Verbotenes im Sinn… Also schön, und diese Nialli Apuilana hat den Verstand verloren und ist verschwunden. Und die Karawane, der verspätete Aufbruch – wohl wegen der Trauerzeit, eh?«
»Oh, aber sie ist nicht tot. Allerdings, man hat mir berichtet, daß es nahe dran war. Man entdeckte sie in Fieberkrämpfen in den Sümpfen östlich der Stadt. Erst ein paar Tage später. Und die Opferpriesterin betete sie wieder gesund. Aber tagelang, sagt man, stand es schwer auf der Kippe. Taniane konnte mit gar nichts andrem befaßt werden. Die ganze Zeit hindurch, in der das Mädchen darniederlag, kein Fetzelchen Regierungsgeschäfte erledigt. Unser Ausreisevisum lag auf Tanianes Schreibtisch, und da blieb es und verstaubte, und sie unterschrieb nicht. Und Hresh – also, der verlor beinahe selber den Verstand. Er sperrte sich in dem Turm ein, wo er diese ganzen alten Chroniken aufbewahrt, und kam überhaupt kaum zum Vorschein, und wenn doch, dann kam kein vernünftiges Wort aus ihm raus.«
Salaman schüttelte den Kopf. »Hresh…«, murmelte er, halb ehrerbietig, halb verächtlich. »Es gibt auf der ganzen Welt keinen Verstand wie seinen. Aber – wahrscheinlich kann ein Mann wohl gleichzeitig brillant sein und dabei doch ein Narr.«
»Oh, es gibt noch mehr«, sagte Gardinak Cheysz.
»Also, raus damit, weiter!«
»Ich erwähnte bereits den – Tod des Hjjk-Gesandten. Kundalimon. Also, in Dawinno hat das Volk damit begonnen, ihn zu einem Gott zu machen. Na, also jedenfalls wenigstens zu ‘nem Halbgott.«
»Einem Gott ?« Der König mußte mehrmals ganz heftig blinzeln. »Was soll das heißen – einem Gott?«
»Na, so Andachtsstätten, Devotionsaltäre, sogar schon ganze Gemeinden mit Votivkapellen. Sie halten ihn für einen Propheten, einen Überbringer göttlicher Offenbarungen, einen… – ach, ich weiß wirklich kaum, wie ich es dir sagen soll. Es übersteigt mein Begriffsvermögen. Jedenfalls wuchert um seine Person herum ein ganzer Kult auf, mehr kann ich dir nicht sagen, König. Mir erscheint das Ganze als völlig blödsinnig. Aber es hat zu einem schrecklichen Durcheinander geführt. Als Taniane sich endlich mit was andrem als ihrer Tochter beschäftigen mochte, hat sie ein Edikt erlassen, wonach die neue Religion als staatsfeindlich unterdrückt werden soll.«
»Ich hätte ihr etwas mehr Hirn zugetraut!«
»Genau. Sowas blüht erst recht, wenn es verfolgt wird. Wie sie sehr rasch erkennen mußte. Das ursprüngliche Verbotsedikt, Majestät, ist bereits widerrufen worden. Die Stadtwachen versuchten die Plätze herauszufinden, an denen dieser Kundalimon verehrt wird – übrigens gibt es jetzt einen neuen Chef der Garde, einen jungen Beng namens Chevkija Aim, ein höchst ehrgeiziger Bursche mit konsequenter Sturheit – na, und sie versuchten eben das Ganze an der Wurzel auszureißen. Indem sie die Kapellen schändeten, die Gläubigen inhaftierten. Es brachte gar nichts. Das Volk ließ es sich einfach nicht
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