Der neue Frühling
vielleicht half ihm dies dann, das Band zu schmieden, auf das seine kühnsten Hoffnungen zielten.
Er wandte sich an Curabayn Bangkea und sprach: »Befiehl einem von diesen Nichtstuern von Gerichtedienern, die draußen auf den Fluren herumlungern, mir Nialli Apuilana herbeizuführen!«
Es lebte aber Nialli Apuilana im Nakhaba-Haus, in einer der kleinen Kammern im obersten Stock des Nordflügels dieses gewaltigen weitläufigen Bauwerks aus Türmen, Spitzen und verschachtelten Gängefluchten. Daß sich hier die Dormitorien für die Priester und Priesterinnen befanden, bedeutete ihr nichts. Daß es sich um die Diener und Dienerinnen eines Beng-Gottes handelte, wo sie selber doch aus dem Blute des Koshmar- Stammes war, bedeutete ihr sogar noch weniger. Derlei altmodische Stammesunterschiede verloren immer rascher mehr und mehr an Gewicht.
Als sie sich entschloß, das Haus Nakhabas zu ihrer Wohnstatt zu wählen, hatte Prinz Thu-Kimnibol wissen wollen, ob sie dies bloß getan habe, um alle Welt zu schockieren. Dabei hatte er in seiner gewohnten Art freundlich gelächelt, um seiner Frage den Stachel zu nehmen. Verletzt hatte es sie dennoch.
»Wieso? Bist du schockiert?« hatte sie zurückgefragt.
Thu-Kimnibol war der Halbbruder ihres Vaters, und er war von ihrem Vater so verschieden, wie die Sonne vom Mond verschieden ist. Aber der massige, riesenhafte Kriegspanzer Thu-Kimnibol und der zerbrechlich wirkende zurückgezogene Gelehrte Hresh waren beide Söhne ein und derselben Mutter, Minbain mit Namen. Hresh war ihr in den Tagen des Kokons geboren worden, als ein gewisser Samnibolon, inzwischen lange tot und vergessen, ihr Kopulationspartner war. Thu-Kimnibol war ihr Sohn aus einer anderen Partnerschaft in späterer Zeit, nämlich mit dem grimmigen, gewalttätigen und streitsüchtigen Kriegsmann Harruel. Von diesem Vater hatte er die körperliche Größe und Kraft geerbt, und teilweise auch seinen heftigen Ehrgeiz; nicht aber – wie man Nialli Apuilana versichert hatte – seine dumpf-brütende verwirrte Seele.
»Nichts, was du tust, schockiert uns«, sagte Thu-Kimnibol. »Nicht, seit du von den Hjjks zurückgekommen bist. Aber wieso willst du bei den Bengpriestern leben?«
Ihre Augen funkelten, amüsiert und ärgerlich zugleich. »Gevatter, ich lebe allein!«
»Im obersten Stock eines riesigen Gebäudes, das von Beng-Dienern wimmelt, die Nakhaba verehren.«
»Irgendwo muß ich ja wohnen. Und ich bin eine erwachsne Frau. In Nakhabas Haus bin ich ungestört. Die Akoluthen beten und singen zwar den ganzen Tag und die halbe Nacht lang, aber sie lassen mich in Frieden.«
»Stört dir das denn nicht den Schlaf?«
»Oh, ich schlafe sehr gut«, antwortete sie. »Das Singen lullt mich in den Schlaf. Und wenn sie zu Nakhaba beten, was geht’s mich an? Oder daß sie Beng sind? Sind wir nicht alle heutzutage mehr oder weniger Bengs? Schau doch dich selber an, Oheim, du selbst trägst doch einen Helm! Und unsere Sprache – was ist die denn, wenn nicht bengisch?«
»Es ist die Sprache des VOLKES…«
»Ja, und es ist die gleiche Sprache, die wir während des Langen Winters im Kokon gesprochen haben?«
Thu-Kimnibol zupfte verlegen an den dichten roten Pelzbüscheln; die fast wie ein Bart an seinen massiven Kinnbacken wuchsen. »Ich hab nie im Kokon gelebt«, sagte er. »Ich wurde erst nach dem Auszug geboren.«
»Oh, du weißt schon, was ich meine. Was wir jetzt sprechen, ist mindestens soviel bengisch wie koshmarisch, vielleicht sogar noch ein bißchen mehr. Wir beten zu Yissou, und wir beten zu Nakhaba, und eigentlich besteht zwischen dem Koshmar-Gott und dem Beng-Gott für uns überhaupt kein Unterschied mehr. Ein Gott ist wie der andere. Und nur eine Handvoll von den Alten erinnert sich überhaupt noch daran, daß wir ursprünglich einmal zwei verschiedene Stämme waren. Und es kümmert uns auch nicht mehr. Laß noch aber dreißig Jahre verstreichen, und nur noch der Chronist wird überhaupt was davon wissen. Mir gefällt der Platz, an dem ich lebe, Oheim. Ich denke gar nicht daran, jemandem ein Ärgernis zu bieten, und du weißt das. Ich will nur ganz einfach für mich sein dürfen.«
Dieses Gespräch hatte vor über einem Jahr stattgefunden, nein, es waren schon beinahe zwei Jahre. Und danach hatte keiner aus ihrer Familie sie weiter wegen der Wahl ihres Domizils belästigt. Schließlich war sie ja volljährig über sechzehn, alt genug für Tvinner- und Kopulationspartnerschaften, auch wenn sie es vorzog, das nicht
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