Der neue Frühling
Die dunklen kantigen Gestalten, die sich zwischen ihnen bewegten. Das neue Heereskontingent, das aus Yissou abmarschierte und tapfer in Feindesgebiet vorstoßen würde, um den feigen Meuchelmord an Zechtior Lukin und seiner Schar von Heiligen zu rächen. Der heftige Zusammenprall der Streitkräfte, der unweigerlich erfolgen würde. Die aufgebrachten Hjjks, die weitere Drohungen ausstießen.
Und dann: Das Bild der Tore von Dawinno, die sich auftaten und durch die eine unermeßliche Kriegerschar strömte, mit Thu-Kimnibol an der Spitze.
Salaman lächelte. Er erigierte sein Sensor-Organ und hielt es steif aufrecht. Aus der Wurzel seines Rückgrats pulste Stärke bis in die äußerste Spitze hinauf. Er schloß die Augen und ließ das Wort aus sich hinausbrechen und weiter strömen. Es schoß nach Süden, ein heller Energiestrom von Relaisstation zu Relaisstation – wie ein hüpfender Blitz über die riesige Entfernung zwischen den beiden Städten hinweg.
- Ich berufe mich auf unseren Bündnisvertrag. Wir haben Krieg.
Etwas ist nicht in Ordnung. Nialli Apuilana ist allein in ihrem Zimmer im Nakhaba-Haus. Sie verspürt plötzlich ein Beben, ein Krachen und Knirschen, als wäre die Welt aus ihren Angeln gerissen worden und taumelte nun blindlings durch die Himmelssphären. Sie tritt ans Fenster. Drunten auf den Straßen sieht alles ganz normal aus und ruhig. Aber ihr Zweitgesicht läßt sie die Sonne sehen, die nun auf einmal riesenhaft-gewaltig dicht über ihr hängt und aus der Ströme von Blut herabtriefen. Und in der Schwärze des Himmels kreisen wirbelnd die eisgrünen Schweife der Kometen.
Sie beginnt zu zittern, wendet den Blick ab, vergräbt das Gesicht in den Armen. Später dann betet sie… Zunächst zur Fünffaltigkeit, und dann zur Geistseele Kundalimons. Und dann – ohne daß ihr bewußt wird, warum – schickt sie ihre fernreichenden Emissionen auch an die Königin.
Nialli hebt den Hjjk-Stern von der Wand. Sie hält ihn dicht vor ihr Gesicht. Sie hält ihn sacht an den Kanten fest. Sie schaut konzentriert in den offenen Mittelraum, das Zentrum, und konzentriert ihren Sichtbereich immer schärfer, bis er nichts weiter als diese kleine Öffnung umfaßt.
Es ist dunkel dort. Vielleicht wartet im tiefsten Grund des Dunkels ein Bild, aber sie weiß wirklich nicht, ob es da ist… Und wenn da etwas ist, dann ist es verschwommen, verblichen, verwaschen und undeutlich, wie die verwischte geisterhafte Spur eines Gespensts. Früher einmal konnte dieser Stern ihr das Nest nahebringen – oder sie bildete es sich doch wenigstens ein. Jetzt aber…
Nichts. Nur dunkle nebelhafte Schemen, die sich dem Blick entziehen, so sehr sie sich anstrengt, sie zu durchdringen. Und keine Spur vom NEST.
Wohin ist es verschwunden?
War es denn jemals da?
- Willst du wirklich sehen? fragte in ihr eine Stimme.
- Ja!
- Aber was du sehen wirst, könnte dich verwandeln.
- Ich bin schon so viele Male verwandelt worden. Was könnte mir da noch geschehen bei einmal mehr?
- Also gut. So sieh denn und schaue, was es zu schauen gibt.
Und dann hat sie den Eindruck, daß die Überschattung sich auflöst, daß die Dunkelheit im Zentrum des Sterns sich erhellt und daß sie erneut wieder durch seinen Mittelpunkt hindurch in die vertrauten unterirdischen Gänge blicken kann, die eine kurze Zeit hindurch Heimat für sie gewesen waren. Gestalten bewegen sich dort. Nialli packt den Stern fester, und sie späht noch eindringlicher.
Gestalten, ja…
Und nun sieht sie sie nur allzu klar.
Ungeheuerlich. Bizarr. Verzerrt. Köpfe scharf wie Kriegsbeile. Arme wie schwingende Schwerter. Riesenhafte kalte Augen, Spiegel, in denen ein kaltes schwarzes Feuer tausend gebrochene Abbilder auf einmal bösartig zurückwirft. Glitzernde scharfe Schnäbel, die zuschnappen und schnarren und ihr durch die Mitte des Sternes dolchscharf entgegenstoßen. Nialli hört das beißende Zischen ihres Gelächters. Sogar ihr Stern, dieses schlichte Gebilde aus einfachem, geflochtenem Grasstroh, ist auf einmal mit scharfen schwarzen Borsten bedeckt. Und seine Mitte ist zu einem dunklen haarumwucherten Mund geworden, einem glitschig klaffenden feuchten schleimigen Loch, das sich ihr mit weichen, einladenden schmatzenden Sauggeräuschen entgegenstülpt.
Etwas zerrt an ihr, versucht sie in die Mitte des kleinen Flechtsterns hineinzuziehen.
Der verführerische Sog ist stark. Heimkehren ins Nest, ja, die Bindung erneut sich aufbauen lassen, dem Nest-Denker zu Füßen sitzen
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