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Der neue Frühling

Der neue Frühling

Titel: Der neue Frühling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Silverberg
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und seine Weisheit in sich aufsaugen. Vor die Königin geführt werden und IHRE Berührung fühlen. War es nicht dies, was sie sich ersehnte? Was sie sich schon immer und von Anfang an ersehnt hatte? Und Kundalimon! Die allerheftigste Versuchung. Sie würden ihr ihren Kundalimon zurückgeben… Komm her zu mir, und Kundalimon wird wieder dein sein. War es so? Wie verlockend das klingt. Und wie leicht es sein würde, dem nachzugeben. Und wie angenehm, in das Nest zurückzukehren… wie tröstlich…wie sicher sie sein würde.
    Nein. Nein, wie könnte so etwas überhaupt sein?
    Nialli setzt sich mit all ihrer Seelenkraft zur Wehr.
    Aber es zieht und zerrt sie noch immer weiter und tiefer hinein. Doch als sie sich weiter dagegen wehrt, läßt der ziehende Sog allmählich nach. Sie schüttelt sich, sie schleudert den Strohstern von sich und sieht ihn durch ihr Zimmer fliegen, bis er auf einer Spitze stehend an der gegenüberliegenden Wand zur Ruhe kommt. Aber selbst von da unten her ruft der Stern weiter: Komm zu uns. Komm… Komm!
    Die Alptraumbilder wollen nicht von ihr weichen. Die Schnäbel und Klauen, der borstige Mund, die Myriade von kaltglitzernden Augen. Das brennt in ihrem Bewußtsein weiter, so sehr sie sich auch müht, es von sich zu stoßen. Sie hat gedacht, daß sie schon vor Wochen ihren Kampf gekämpft und gewonnen hätte. Aber nein, der Zugriff der Königin ist noch nicht völlig gebrochen.
    Nialli ringt nach Luft. Ihr Herz rast. Auf der Haut fühlt sie ein Brennen wie von eiskalten Pusteln. In ihrem Gehirn wirbeln Rätsel und Fragen.
    Die Wände ihres kleinen Gemachs scheinen sich auf sie zuzubewegen. Ströme von Blut schieben sich über den Boden. Abgehackte Gliedmaßen richten sich auf und tanzen wild um sie herum. Von dem Grasstern am Fuß der Wand pulst ein unheilsames, giftiges grünes Licht. Aus der Mitte des Sterns recken sich dünne spillerige Arme und greifen nach ihr. Scharfe Flüsterstimmen rufen sie, von weit her, aber lockend.
    »Nein«, sagt sie. »Nein, ich gehöre nicht mehr euch.«
    Und sie weicht langsam seitwärts nach hinten, die Augen fest auf den Stern fixiert, schiebt sich behutsam auf die Tür zu und tastet nach dem Griff, und dann schlüpft sie hastig auf den Gang hinaus. Sie zerrt die Tür hinter sich zu und hält den Griff fest in der Hand. Dann lehnt sie sich gegen die Tür, holt tief Luft in ihre Lungen und wartet, daß die Benommenheit von ihr weiche und das Hämmern in ihr Brust sich lege.
    Frei. Frei.
    Aber was nun?
    Es gibt nur einen in der ganzen Stadt, an den sie sich wenden kann.
    Ich will zu meinem Vater gehen.
    »Sie wollen die Königin vernichten, wenn sie können«, sprach Husathirn Mueri. »Darauf geb ich euch mein Wort.«
    Er befand sich in der ‚Kapelle Kundalimons’ in dem Gäßchen dicht an der Straße der Fischhändler. Es war nicht einer der regulären Versammlungstage der Kongregation. Außer ihm waren nur Tikharein Tourb und Chhia Kreun anwesend: der knabenhafte Priester, die mädchenhafte Priesterin.
    Zu seinem eigenen nicht geringen Erstaunen hatte Husathirn Mueri sich zu einem regelmäßigen Praktikanten der neuen Glaubenslehre entwickelt. Was als Ausspähung begonnen hatte, war inzwischen – ja, war es das? – gläubige Gefolgschaft geworden. Oder gehörte das noch immer zu seiner Bespitzelung? Er war sich da gar nicht sicher. Jedenfalls, in dem Sturm, der durch Dawinno tobte, war ihm dieses Bethaus, diese schäbige Kellerkapelle, in der sich im Gestank von Trockenfisch viermal wöchentlich nach Schweiß riechende Proleten versammelten, um lautstark ihre Liebe zur Königin hinauszublöken, zu einer Art Zuflucht geworden. Chevkija Aim gegenüber gab er noch immer vor, er führe eine Kriminaluntersuchung durch. In seinem Herzen war er nicht mehr so sicher, daß es das war, was er tat.
    Der Knabe sagte: »Aber sind sie denn zu sowas fähig? Kann irgend jemand dazu fähig sein? Es fällt schwer, das zu glauben.«
    »Daß die Königin vernichtet werden kann?«
    »Nein, daß sie so böse sind, es zu versuchen.«
    »Sie werden sie ermorden«, sagte Husathirn Mueri, »genau, wie sie Kundalimon ermordet haben. Ihr Haß gegen die Nest-Wahrheit kennt keine Grenze.«
    »Dann war es also Thu-Kimnibol, der Kundalimon getötet hat?« fragte das Mädchen verwirrt.
    Husathirn Mueri wandte sich ihr zu. »Aber das wußtet ihr doch sicherlich längst. Es geschah auf seinen Befehl hin durch den Wachhauptmann Curabayn Bangkea. Der dann seinerseits ebenfalls ermordet

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