Der neue Frühling
zwei kleine Häppchen. Auch Essen konnte als sprachhelfende Kommunikation dienen, und die gemeinsam eingenommenen Mahlzeiten förderten ihren gegenseitigen Lernprozeß.
Einmal – es war das dritte-, viertemal, daß sie ihm sein Essen brachte – hatte er lange Zeit nachdenklich einen Mundvoll Nüsse und Früchte gekaut, ohne zu schlucken, und dann schließlich einen Teil davon in seine Hand gespuckt. Den Brei hatte er ihr dann entgegengehalten. Niallis erste Reaktion war Verblüffung und Ekel. Doch er hielt ihr weiterhin drängelnd die Handvoll feuchten Brei hin und nickte und deutete dabei unablässig.
»Was ist das?« hatte sie benommen gefragt. »Ist was nicht in Ordnung damit?«
»Kein… Essen… Du… Nialli Apuilana?«
Sie begriff noch immer nicht und starrte ihn an.
»Nehmen… nehmen…«
Und dann fiel es ihr plötzlich wieder ein. Im NEST teilten die Hjjks halbverdaute Nahrung die ganze Zeit miteinander. Zum Zeichen der Solidarität, der Nest-Bindung und vielleicht noch einiges mehr, das in einem Zusammenhang stand mit dem Nahrungsmetabolismus im Körper der Hjjks, was sie jedoch nicht verstand. Aber sie erinnerte sich jetzt daran, wie ihre Nestgefährten einander vorgekauten Nahrungsbrei aufgedrängt hatten. Dieses Teilen der Nahrung war etwas ganz allgemein Selbstverständliches unter ihnen.
Zögernd hatte sie angenommen, was Kundalimon ihr darbot. Er lächelte und nickte heftig. Sie zwang sich, etwas davon zu essen, obschon alles in ihr sich instinktiv dagegen wehrte. »Ja«, sagte er. »O ja!«
Sie kämpfte ihre Übelkeit nieder und schluckte. Er schien sich zu freuen.
Pantomimisch hatte er sie dann aufgefordert, etwas von der mitgebrachten VOLKS-Speise zu nehmen, es ihm nachzutun und ihrerseits ihn zu füttern. Sie nahm eine gebratene Gilandrin-Keule und biß hinein, und nachdem sie eine Weile daran herumgekaut hatte, holte sie den ganzen Fleischpfropfen aus dem Mund, verbarg möglichst ihre Befangenheit und reichte ihn Kundalimon.
Er probierte zurückhaltend. Das Fleisch selbst schien ihm irgendwie nicht geheuer; doch ganz sichtlich freute es ihn, daß sie es zuerst im Mund gehabt hatte. Sie spürte die Wärme und Dankbarkeit, die von ihm zu ihr herüberflutete. Es war beinahe, als befände sie sich wieder im Nestverband.
»Mehr«, forderte er.
Und so gelang es ihr – weil sie bereit war, seine Hjjk-Bräuche anzunehmen – schrittweise, sein Nahrungsspektrum zu erweitern. Und sobald ihm bewußt geworden war, daß die Gerichte, die Nialli ihm brachte, nicht schädlich für ihn waren, aß er sie mit Genuß. Auf seinen Knochen wuchs ein wenig Fleisch nach, sein dunkler Pelz war dichter und hatte sogar einigen Glanz bekommen. Und die seltsamen-grünen Augen wirkten nicht länger so hart und eisig.
Also – eine Art Kommunikation.
Er blieb zwar scheu und zurückhaltend, doch schien er sich über ihre Besuche zu freuen. Hatte er sich vielleicht inzwischen ausgerechnet, daß auch sie einst im NEST gelebt hatte? Manchmal hatte Nialli den Eindruck; aber sie konnte noch nicht sicher sein. Der verbale Kontakt zwischen ihnen war noch immer sehr ungenau. Kundalimon hatte ein Dutzend Stadtwörter aufgeschnappt, und Nialli war dabei, ihre Hjjkkenntnisse aufzufrischen. Doch noch waren Vokabelkenntnisse und Begriffszusammenhänge zwei verschiedene Dinge.
Lerne seine Sprache oder lehre ihn, die unsere zu sprechen! So lautete Tanianes Befehle, und das ließ keine Ausflüchte zu. Und beeil dich damit. Und dann sagst du uns, was du herausbekommst.
Den ersten Teil der Order gedachte Nialli jedenfalls exakt zu befolgen. Und sobald Kundalimon und sie sich geläufig verständigen konnten, sie sich besser kannten, er vielleicht mehr Vertrauen zu ihr hatte, würde er mit ihr vielleicht über NEST-Angelegenheiten sprechen: über KÖNIGINliebe, DENKERgedanken, den EIplan und alle jene anderen derartigen Dinge, die im Kern ihrer Seele warteten. Taniane brauchte von alledem nichts zu erfahren. Das übrige, dieses Vertragsangebot, die diplomatischen Verhandlungen, o ja, was ich darüber in Erfahrung bringe, werde ich ihr gern mitteilen, dachte Nialli. Aber kein Wort über das Tiefere, über das wirklich Wichtige.
Sie stieg in den wartenden Xlendiwagen.
»Und nun zum Mueri-Haus!« befahl sie dem Fahrer.
In der prachtvollen Villa des Prinzen Thu-Kimnibol im Südwestquadranten der Stadt hatten sich wieder die Heilkundigen am Lager der Edlen Naarinta versammelt. Es war die fünfte Nacht der laufenden Bemühungen.
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