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Der neue Frühling

Der neue Frühling

Titel: Der neue Frühling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Silverberg
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Die Lady war seit vielen Monden schon krank und versank mehr und mehr in immer tiefere Schwächezustände. Nun jedoch näherte sie sich der kritischen Phase.
    In dieser Nacht hielt Thu-Kimnibol in dem schmalen Vorraum zum Krankenzimmer Wache. Die Heiler hatten ihm untersagt, näher an die Kranke heranzukommen.
    In dieser Nacht war nur Frauen der Zutritt zu Naarintas Gemach gestattet. Die Düfte von Medizinen und aromatischen Kräutern hingen in der Luft. Aber auch der Geruch des nahenden Todes machte sich dort breit.
    Sein Sensororgan bebte im Bewußtsein des gewaltigen Verlustes, der auf Thu-Kimnibol zuraste.
    Im Krankenzimmer saß die Opferfrau Boldirinthe neben Naarinta. Wann immer man zauberische Sprüche und Tränke brauchte, wenn die Himmlische Fünffaltigkeit angerufen werden mußte, hievte die feiste alte Boldirinthe ihren massigen Leib in ein Vehikel und begab sich dienstbeflissen an Ort und Stelle. Die alte Fashinatanda, die Patin des Häuptlings – so blind gebrechlich sie war –, verpaßte gleichfalls kaum je eine Gelegenheit, sich am Sterbebett von Schwerkranken eifernd einzufinden. Dann war da auch noch so ein bengischer Kräuterdoktor, ein verhutzeltes Weiblein mit einem rostfleckigen mit dunklen Federn verzierten Helm. Und zwei, drei andere Weiber, die er nicht zu erkennen vermochte. Sie brabbelten und summten mit stumpfen Stimmen leise durcheinander.
    Thu-Kimnibol wandte sich ab. Er brachte es einfach nicht mehr über sich, zuzuhören. Es klang mehr wie eine Totenklage.
    Im Gang draußen waren Bündel von Purpurblumen mit dunkelroten Stielen aufgestellt wie Tempelgaben. Ihr penetranter Duft ließ ihn schniefen, niesen und husten. Er eilte hastig vorbei und zu dem weiträumigen hochgewölbten Raum, der ihm als Audienzzimmer diente. Dort in trübem Licht erwartete ein Grüppchen von Männern: Maliton Diveri, Staip, Si-Belimnion, Kartafirain und Chomrik Hamadel. Seine Spieß- und Spielfährten und langjährigen Freunde. Sie drängten sich um ihn, rissen Witze und ließen einen gewaltigen Weinballon kreisen. Es war nicht der Moment, eine Trauermiene aufzusetzen.
    »Auf glücklichere Tage!« sagte Si-Belimnion und ließ den Wein in seinem Becher kreisen. »Die der Vergangenheit und die, die noch kommen werden.«
    »Glücklichere Tage«, respondierte Chomrik Hamadel. Er stammte aus bengischem Fürstenblut und war ein kleinwüchsiger Mann mit stumpfem Gesicht und stechenden Scharlachaugen. Er trank heftig, wobei er den Kopf so stark in den Nacken warf, daß ihm beinahe der Helm davongeflogen wäre.
    Maliton Diveri und Kartafirain schlossen sich dem Toast grinsend und mit lautem Becherklirren an. Zwei grobschlächtige Kerle, der eine kurz, der andere lang. Nur Staip blieb still. Er war älter als die anderen, was teilweise seine Zurückhaltung erklärte; doch er war auch Boldirinthes Partner, und zweifellos hatte diese ihm gesagt, wie gering die Hoffnung war, daß Naarinta am Leben bleiben würde. Und Staip hatte Verstellung noch nie gelegen: soldatische Schlichtheit, das war sein Stil.
    Thu-Kimnibol nahm sich einen Becher, hielt ihn Maliton Diveri zum Füllen hin und sprach: »Glücklichere Tage, ja. Glück und Wohlstand uns allen – und auf die rasche Genesung meiner Gemahlin!«
    »Glück und Wohlstand! Rasche Genesung!«
    Fünfzehn Jahre war es her, seit er sein Leben mit Naarinta teilte. Er war ihr begegnet, als er gerade erst aus dem Norden in die Stadt gekommen war, die sein Halbbruder Hresh errichtet hatte, um sich hier niederzulassen, und er und Naarinta waren seitdem unzertrennlich gewesen. Sie stammte von den Debethin, war eine Häuptlingstochter – zweifellos nicht gerade eine rühmliche Linie, wenn man bedachte, daß nur noch ganze vierzehn Debenthins noch am Leben waren, als nach unseliger Wanderung von Osten her der ‚Stamm’ um Einbürgerung in Dawinno bat; dennoch – ein Häuptling war nun einmal ein Häuptling. Naarinta war hochgewachsen und graziös und strahlte eine stille Kraft aus. Sie waren ein großartiges Paar, fast hätte man sie majestätisch nennen können: Thu-Kimnibol, groß wie ein Turm, und seine stattliche Dame. Die Götter hatten ihnen Kindersegen versagt, was für ihn der tiefste Schmerz war; doch hatte er sich durchaus mit Naarinta allein zufrieden gegeben. Sie teilte seine Mühewaltungen, war die Gefährtin seiner Tage. Und dann war sie von dieser verzehrenden Krankheit befallen worden, von diesem unbegreiflich schrecklichen Ratschluß der HIMMLISCHEN, gegen den es

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