Der neunte Buddha - Thriller
Moment. Sofort hatte er sich wieder in der Gewalt, aber Christopher spürte die Feindseligkeit wie einen körperlichen Schlag.
Sie trennten nur noch wenige Meter. Auch Christopher starrte Samjatin an. Der Russe hatte einen blassen Teint, aber dunkle Augen. Sie liefen ruhelos hin und her, ein scharfer Kontrast zu seiner gelassenen Miene. Augen des Ostens, glühend, aber ohne wirkliche Wärme. Noch mehr verriet ihn sein Mund. Die Lippen waren weich, fast sinnlich. Doch erhatte gelernt, sie hart zusammenzupressen. Was an ihm einmal zu Sanftmut und Luxus geneigt haben mochte, hatte er so lange ausgehungert und unterdrückt, bis es sich in die dunkelsten Winkel seiner Persönlichkeit geflüchtet hatte wie ein geprügelter Hund.
»Was tut mein Sohn hier?«, fragte Christopher. »Ich verlange, dass Sie ihn sofort freigeben.«
»Sie haben nur zu sprechen, wenn ich es Ihnen gestatte, Mr. Wylam«, sagte Samjatin mit schleppender Stimme. »Wenn Sie das nicht verstehen, werde ich es Ihnen beibringen lassen.«
»Um Gottes willen, der Junge hat genug gelitten! Das sollten Sie verstehen! Sie haben doch jetzt, was sie wollten. Lassen Sie ihn gehen!«
Samjatin sagte nichts. Er hob nur leicht einen Finger und gab jemandem hinter Christopher ein Zeichen. Tsarong Rinpoche trat vor, legte die Hand auf Christophers Nacken und drückte ein wenig. Der Schmerz war fürchterlich. Christopher schrie auf und fasste sich an den Nacken. Die Haut war unversehrt, aber die Nerven zitterten noch von dem Zugriff.
»Ich versichere Ihnen, Mr. Wylam«, sagte Samjatin, »der neue Abt von Dorje-la wird in keiner Weise sein wie sein Vorgänger. Aber darauf sind Sie sicher schon selber gekommen.«
»Was tun Sie mit Herrn Samdup?«, rief jetzt Chindamani. »Warum haben Sie ihn aus seinem Labrang entfernt?«
Samjatin streichelte den Jungen mit seiner schmalen Hand und fuhr mit seinen spitzen Fingern über seine Wangen, als sei er ein Schoßhündchen. In seinen Augen war Spott und Hohn.
»Samdup und ich freunden uns gerade an, nicht wahr?«, antwortete er. Aber Samdup suchte seiner Hand auszuweichen.
»Der Junge ist erschöpft und verängstigt«, sagte Chindamani.»Er darf nicht hier sein. Sie haben kein Recht, hier zu sitzen, schon gar nicht zusammen mit dem Jungen.«
Samjatin warf ihr einen Blick zu, der wie eine Ohrfeige wirkte. Sie errötete sichtlich, als er sie anfuhr: »Sprechen Sie mir nicht von Rechten, meine Dame. Alle Privilegien sind abgeschafft. Das Volk hat dieses Kloster übernommen. Ich bin sein Vertreter. Tsarong Rinpoche ist jetzt der Dorje Lama. Er entscheidet, welche Rechte und Pflichten Sie haben.«
Plötzlich rückte Samdup noch weiter von Samjatin ab und wandte sich an Chindamani: »Bitte, Chindamani«, sagte er. »Ich will nicht hier bleiben. Ich verstehe nicht, was hier vorgeht. Wo ist der Dorje Lama? Und wer ist dieser Mann?«
»Ich bin dein Freund«, sagte Samjatin und hob wieder die Hand, um den Jungen zu streicheln.
»Du bist nicht mein Freund«, gab Samdup zurück. »Chindamani ist meine Freundin. Bitte, Chindamani, nehmen Sie mich mit. Ich will nicht hier bleiben.«
»Er will nicht bei Ihnen sein«, sagte Chindamani scharf. Sie hatte nicht die Absicht, sich von Samjatin und seiner brutalen Art einschüchtern zu lassen. »Lassen Sie ihn mit mir gehen. Und auch das andere Kind. Sie brauchen beide Schlaf. Auf diesem Stockwerk sind Räume, wohin wir uns zurückziehen können. Keine Sorge, wir werden nicht fliehen. Wohin sollten wir auch gehen?«
Samjatin schien zu überlegen.
»Meinetwegen, schaffen Sie mir die beiden für eine Weile aus den Augen. Erzählen Sie ihnen Gutenachtgeschichten. Darin sollen Sie gut sein.«
Er wandte sich an Tsarong Rinpoche.
»Übernimm sie und die Jungen. Bringe sie für die Nacht bequem unter. Aber lasse sie scharf bewachen. Ich mache dich verantwortlich, wenn sie dir entschlüpfen. Und jetzt raus mit euch allen. Ich will mit Mr. Wylam allein sprechen.«
Als William an ihm vorüberging, lächelte Christopher ihm zu und streckte eine Hand nach ihm aus. Der Junge weinte. Alle Freude über das Auftauchen seines Vaters war dahin, seit er begriffen hatte, dass Christopher hier genauso hilflos war wie er selbst.
»Keine Sorge, William«, rief Christopher ihm nach. »Wir sind noch nicht am Ende. Halt dich tapfer.« Aber seine Worte klangen hohl und leer. Die Lage konnte schlechter nicht sein.
Schweigend verließen Tsarong Rinpoche und seine Männer zusammen mit Chindamani und den Jungen
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