Der neunte Buddha - Thriller
der Tür, die auf eine kleine Terrasse führte. Sie öffnete sie und trat hinaus. Sie trug wieder ihr weißes Kleid. Die Nachtluft war kalt. Er trat zu ihr und nahm ihre Hand.
Sie schaute in die Dunkelheit hinaus. Die Sterne schienen so weit weg, die Finsternis so nah und unmittelbar.
»Glaube nicht, dass ich dir für immer gehören kann«, sagte sie. »Das darfst du nicht denken.«
Er antwortete nicht. Weit unten im Tal waren Lichter zu sehen, kleine Lichter, die funkelten, als seien sie vom Himmel gefallen.
»Was soll ich dann denken?«, fragte er schließlich.
Sie wandte sich zu ihm um, und er sah Tränen in ihren Augen.
»Dass ich sterben werde, dass ich einmal tot sein werde, dass ich dann wiedergeboren werde, wo mich niemand erreichen kann – du nicht, die Göttin Tara nicht, nicht einmal die Finsternis.«
»Bitte«, sagte er. »Sprich nicht in Rätseln zu mir. Du weißt, dass ich sie nicht verstehe. Wenn du so mit mir redest, machst du mir Angst.« Er hielt inne und erschauerte. »Du sagst, wir werden alle wiedergeboren. Gut, wenn du vorhast, zu sterben und zurückzukommen, warum kann ich nicht das Gleiche tun? Was hindert mich daran?«
Ihre Wangen röteten sich im Zorn.
»Was verstehst du davon?«, sagte sie scharf. »Glaubst du, das ist leicht? An Orten wie diesem verbringen Männer ihr ganzes Leben damit, um sich auf den Tod vorzubereiten. Sie studieren das wie einen Text, den man sich einprägen muss. Sie kennen sein Gesicht, als sei es das eines lieben Menschen, den Klang seiner Stimme, seinen Atem, die Berührung seiner Finger. Und doch können ihre Gedanken im letzten Augenblick in die Irre gehen, und sie scheitern. Glaubst du, der Tod ist eine so leichte Sache?«
Er nahm ihr Gesicht in seine Hände. Die Tränen waren auf ihren Wangen gefroren.
»Ja«, sagte er. »Ich liebe dich. Das genügt. Ich werde dir folgen, wohin du gehst. Das schwöre ich.«
Sie neigte den Kopf und schlang ihre Arme um ihn. Draußen in der Dunkelheit schwebte eine Eule tief über ein gefrorenes Feld und hielt nach Mäusen Ausschau.Am nächsten Tag verließen sie Gharoling auf Ponys, die der Abt ihnen zur Verfügung gestellt hatte. Er wollte ihnen einen Mönch als Führer mitgeben, aber Chindamani lehnte das aus Gründen ab, die Christopher nicht durchschaute. Er war natürlich glücklich, mit ihr allein zu sein. Ihre Niedergeschlagenheit vom Abend zuvor war verflogen, und sie lächelte ihm zu, während sie die Ponys mit ihrer Ausrüstung beluden.
Der Abt geleitete sie persönlich bis zum Tor des Klosters. Christopher spürte bei ihm eine Ruhe und Selbstbeherrschung, wie er sie bisher bei einem Lama noch nicht erlebt hatte. Es war, als sollte jede seiner Gesten und jedes seiner Worte die einfache Botschaft vermitteln, dass alles vergänglich ist und selbst die größten Sorgen eines Tages bedeutungslos werden.
»Reisen Sie in mühelosen Etappen«, riet er ihnen. »Ruhen Sie aus, wenn Sie erschöpft sind. Treiben Sie die Tiere nicht an. Gehen Sie gut mit sich selber um, dann wird es der Weg mit Ihnen tun.«
Sie dankten ihm und nahmen Abschied. Als sie das Tor passiert hatten und den Berg hinabstiegen, kamen sie an einer kleinen Prozession von Mönchen vorbei, die etwas in ein weißes Tuch Gehülltes vorbeitrugen, das ein Mensch sein konnte.
»Was bedeutet das?«, fragte Christopher. »Ist das eine Bestattung?«
Chindamani nickte ernst.
»Es ist der Eremit«, sagte sie. »Sie haben ihn gestern Abend tot gefunden. Er hatte das Essen, das sie ihm brachten, sechs Tage lang nicht angerührt.« Sie verstummte. »Er ist einen Tag nach unserer Ankunft gestorben.«
Die Mönche zogen vorbei und sangen dabei ein langsames Klagelied. Ihr Ziel war ein hochgelegener Ort, wo sie dieabgezehrten Überreste des Gomchen zerschneiden und den Geiern zum Fraß vorwerfen würden. Eine Wolke verdüsterte den Himmel und warf einen Schatten auf das Tal von Gharoling.
44
Sie durchquerten Tibet – Grasteppiche, kargen Boden und Felsen, der manchmal noch von Eisschichten bedeckt war, dazwischen kleine Bergflüsse. Manchmal ritten sie, dann wieder gingen sie zu Fuß und führten die Ponys am Zügel. Sie hatten sie Pip und Squeak getauft wie den kleinen Hund und den Pinguin, deren Abenteuer William jeden Tag im Daily Mirror verfolgt hatte. Für Chindamani, die nie eine Karikatur oder eine Zeitung, viel weniger noch einen Pinguin gesehen hatte, waren diese Namen nichts als ein weiterer Spleen dieser Pee-lings . Den Ponys waren Namen
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