Der neunte Buddha - Thriller
aufschluchzen. Sie taten ihr weh. Er fuhr herum und stürzte zum Zelt hinaus.
»Christopher!«
Jetzt war es Winterpole, der ihn angstvoll anrief.
»Er hat eine Pistole, Christopher! Ich kann ihn nicht aufhalten!«
Der Wächter war trotz des Schmerzes wieder auf die Beine gekommen und versuchte eine Pistole aus dem Halfter zu ziehen.
Christopher fuhr herum. Der Mann hielt die Pistole zitternd in der rechten Hand. Er schwankte, halb benommen vom Schmerz, und konnte nicht richtig zielen. Christopher wollte nicht schießen, denn das hätte die Aufmerksamkeit zu früh auf ihn gelenkt. Er fuhr mit dem Gewehr herum und spürte es wie einen Speer in seiner Hand. Mit solchen Waffen hatten Männer im Krieg in kalten Schützengräben zwischen rostigem Stacheldraht gekämpft, aber er war noch nie damit umgegangen. Er fühlte sich wie eine Art primitiver Gott, kaltes Metall in seiner Hand. Der Posten hatte inzwischen das Gleichgewicht wiedererlangt und richtete die Pistole – schwer, schwarz und diabolisch – auf Christophers Brust.
Der stürzte nach vorn, Bilder von Exerzierplätzen im Kopf. Er hatte Männer auf Strohbündel einstechen sehen und dabei schreien hören. Der Revolver wurde abgefeuert, es blitzte, und ein heulender Laut füllte die Welt. Er spürte, wie das Gewehr schwer wurde und die lange Klinge gegen etwas stieß. Die Waffe zuckte in seinen Händen, der Revolver schoss noch einmal, und Christopher fiel mit seinem ganzen Gewicht nach vorn.
Das Bajonett drehte sich, und er hörte jemanden aufkreischen. Christopher wurde bewusst, dass er die Augen geschlossenhatte. Als er sie öffnete, lag der Wächter vor ihm, spie Blut und wand sich an der langen Klinge wie ein Fisch am Haken des Anglers. Er schloss wieder die Augen, drehte die Klinge und zog sie zurück. Er vernahm ein leises Stöhnen, dann war da nur noch Schweigen.
»Es gibt keinen Tod. Es gibt keinen Tod«, sprach er immer wieder vor sich hin, öffnete die Augen und sah den Wachtposten am Boden liegen. Er war schon auf dem Weg in eine andere Welt. Seine Kugeln hatten Christopher nicht getroffen. Er war unverletzt, aber seine Hände trieften vom Blut des Postens; das Bajonett war dunkel und nass.
»Sie Wahnsinniger!«, schrie Winterpole aus einer Ecke des Zeltes. »Sie haben alles kaputtgemacht!«
Christopher ignorierte ihn und rannte aus dem Zelt, das Gewehr immer noch in der Hand.
Zwanzig Meter weiter hatte man das Feuer neu entfacht, und ein riesiger Funkenregen stob durch die Finsternis. Ein paar Männer standen im Halbkreis, die Gesichter, angeleuchtet wie Karnevalsmasken, in animalischer Erregung. Sie jubelten, als sähen sie einem Hahnenkampf zu. Die Schüsse schienen sie gar nicht gehört zu haben, oder sie ignorierten sie einfach, weil sie sich nicht von Wichtigerem ablenken lassen wollten.
Christopher rannte auf sie zu und entsicherte im Laufen das Gewehr. Dabei schätzte er die Entfernung und die Standorte der Männer am Feuer ab. Er hatte den Vorteil, aus der Dunkelheit zu kommen und über weichen Boden zu laufen. Wieder ertönte ein Schrei, und der Kreis öffnete sich ein wenig. Durch die Lücke sah Christopher einen der vier Männer, die Chindamani geholt hatten. Halbnackt hockte er über ihr, begrapschte ihre Brüste und atmete schwer. Christopher neigte sich etwas vor, zielte und feuerte einen einzigen Schuss ab, der dem Mann den halben Kopf wegriss. Totenstille breitetesich im Lager aus. Nur Chindamanis Schluchzen war noch zu hören und der Schrei einer Eule, die in der Dunkelheit auf Jagd ging.
»Chindamani«, sagte Christopher, so ruhig er konnte. Hysterie half jetzt nicht weiter. Ein kühler Kopf und eine feste Hand, das war es, was er brauchte.
»Schieb ihn beiseite, steh auf und komm her zu mir«, sagte er und betete bei sich, dass sie nicht verletzt war oder sich vor Angst nicht rühren konnte. Sie blieb noch eine Ewigkeit liegen, von Schluchzern geschüttelt, während das Blut des Toten über ihre nackte Haut lief wie bei einer Taufe für das, was das wirkliche Leben darstellte. Die Männer waren unbewaffnet und unsicher, wie viele Waffen ihre bisherigen Gefangenen auf sie gerichtet hielten. In der Dunkelheit konnten sie nichts unterscheiden und wussten, dass sie selbst vor dem Feuer hervorragende Ziele boten. Jemand rief mit scharfer Stimme:
»Macht das blöde Feuer aus, bevor er noch jemanden erschießt!«
Aber keiner wagte sich zu rühren. Niemand wollte durch eine falsche Bewegung den nächsten Schuss auf sich
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