Der neunte Buddha - Thriller
intelligentes Gesicht, war mager und asketisch wie alle Mönche, aber sicher nicht nur durch Gebete und Fasten.
Chindamani grüßte ihn höflich. Er errötete und verneigte sich tief, dann trat er einen Schritt vor und überreichte ihr einen Khatag -Schal, den sie lächelnd entgegennahm.
»Ich habe leider keinen, den ich dir darbieten kann«, sagte sie.
»Mir genügt es schon, wieder in Ihrer Gegenwart sein zu dürfen«, sagte er mit gesenktem Kopf.
»Auch ich bin froh, dich zu sehen«, antwortete sie. »Kannst du auch meinem Freund Ka-ris To-feh einen Khatag überreichen? Er ist der Sohn des Dorje Lama. Du hast ihn mit Respekt zu behandeln.«
Der junge Mann hob den Kopf und holte einen zweiten Schal hervor, den er über Christophers ausgestreckte Arme legte. Chindamani gab Christopher den Schal, den sie gerade empfangen hatte, und der legte ihn seinerseits wieder über Tserings Handgelenke. Der Mönch verneigte sich noch tiefer, blieb dann stehen und wartete auf weitere Anordnungen.
»Bitte tritt ein und sprich mit uns«, sagte Chindamani.
»Ich möchte lieber hier draußen bleiben«, sagte Tsering.
»Gut. Dann bleiben wir hier. Hast du getan, worum ich dich gebeten habe?«
Der Lama nickte. Sein langer dünner Hals bewegte sich, als ob ein Vogel Futter aufpickte. Er war in das übliche einfache Mönchsgewand gekleidet, wirkte aber nicht so unterwürfig und hoffnungslos auf seine Umgebung wie viele seiner Glaubensbrüder. Was immer die Quelle seines Asketentums sein mochte, mit Lebensüberdruss hatte es wenig zu tun.
Eine gelbe Robe schützt nicht vor menschlichen Regungen . Unwillkürlich fiel Christopher dieser Satz wieder ein. Hatte ihn nicht Martin Cormac über den Bruder dieses Mannes gesagt?
»Was hast du herausgefunden?«, fragte Chindamani.
»Wenn Sie erlauben, möchte ich Ihnen zuerst etwas zeigen«, sagte der Mönch.
Er wies auf einen Gegenstand, der seitlich von ihm aufdem Boden lag. Es war ein kleiner Lederbeutel, der von einer groben Schnur zusammengehalten wurde. Der Mönch hob ihn auf und übergab ihn wortlos an Christopher. Der spürte etwas Rundliches, Unebenes und ziemlich Schweres darin.
»Öffnen Sie ihn«, sagte der Mönch. Christopher tat, wie ihm geheißen, und löste die groben Knoten, mit denen der Beutel zugebunden war. Das Leder fiel auseinander und zum Vorschein kam ein Kinderkopf. Das Gesicht war verzerrt und blutverschmiert. Zum Glück waren die Augen geschlossen, denn Christopher erschrak so sehr, dass er den grausigen Gegenstand beinahe fallen gelassen hätte. Chindamani trat an Christopher heran und schaute.
»Ist es Samdup?«, fragte Christopher, unsicher, ob er das tote Gesicht erkennen würde.
Chindamani schüttelte den Kopf.
»Nein«, flüsterte sie. »Es ist nicht Samdup.«
Sie wandte sich Tsering zu.
»Wo hast du das her?«
»Der russische General Ungern-Sternberg hat einen ganzen Raum voller solcher Köpfe. Alles Jungen in Dorje Samdup Rinpoches Alter. Er weiß, dass er im Lande ist. Er lässt ihn suchen.«
Christopher legte den Kopf in den Beutel zurück und band ihn wieder zu. Er war ratlos, was er damit tun sollte. Einen Moment lang kam ihm die Sache eher absurd als entsetzlich vor.
»Kannst du uns helfen, Samdup zu finden, bevor es dem General gelingt?«, fragte Chindamani.
»Ich denke, schon. Einer meiner Freunde im Mampa tatsang gehört einem revolutionären Klub an, den ein Mann namens Suche-Bator vor einigen Jahren gegründet hat. Er vertraut mir, weil ich Tibeter bin, und er meint, ich hätteliberalere Ansichten als die meisten. Seit einigen Tagen ist er aus irgendeinem Grunde in Hochstimmung, will aber nicht sagen, warum.
Etwas hat er allerdings doch angedeutet, das mir wichtig erscheint. ›Ungern-Sternberg sammelt Köpfe‹, sagte er. ›Er sucht nach einem Jungen, einem Chubilgan . Aber er wird ihn nicht finden. Der Junge ist sicher, doch das wird Ungern-Sternberg erst wissen, wenn es zu spät ist.‹ Er hat mir gesagt, wo sie die Köpfe aufbewahren, und ich habe mir einen beschaffen können. Sie haben sie einfach in einen Raum geworfen, wo sie verwesen sollen. Er ist nicht bewacht. Ich habe den Kopf mitgebracht, um zu beweisen, dass mein Freund die Wahrheit sagt.«
»Was ist ein Chubilgan ?«, fragte Christopher.
»Es ist das mongolische Wort für Trulku «, antwortete Tsering. Seine Stimme klang frisch und seine Redeweise nicht so gestelzt, wie es Christopher bei anderen tibetischen Mönchen beobachtet hatte. »Die Bedeutung ist die
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