Der neunte Buddha - Thriller
über dieses Kind. Ich habe ihn gefragt, ob …«
Sepailow verstummte. Ungern-Sternberg saß stocksteif da. Seine Hände umkrampften die Armlehnen des Ledersessels. Er trug einen roten mongolischen Seidenmantel über schwarzen russischen Reithosen und Lederstiefel: ein General, der sich darauf einstellte, ein Gott zu sein. Sein Gesicht erinnerte Sepailow an Ikonen, vor denen er als Kind gebetet hatte. Es war schmal und asketisch, ausgemergelt und byzantinisch, als warte es nur darauf, in Ocker- und Rottönen gemalt und mit Blattgold belegt zu werden. Es hatte die feine Spannung der Frömmigkeit, aber keine Spur von etwas wirklich Heiligem. Ungern-Sternberg war noch nie sehr gepflegt gewesen, doch in der letzten Zeit stellte Sepailow wachsende Unordnung bei ihm fest, die weniger körperlicher als geistiger Natur zu sein schien. Ungern baute sichtbar ab. Er war voller Prophezeiungen und unterschwelliger Träume von einer irrwitzigen Göttlichkeit. In Wirklichkeit pfiff er auf dem letzten Loch.
»Woher kommt dieses Kind?«, stieß er zornig hervor.
»Jahantsi meint …«
»Ja?« Ungern drückte die halb gerauchte Zigarette aus und steckte sich die nächste an.
»Er meint, der Junge könnte aus Tibet kommen. Eigentlich ist er sich ziemlich sicher. Ich denke, er weiß mehr, als er sagt. Jemand hat ihm berichtet, bei dem Jungen sei ein Mann.«
»Ein Mann? Ein Tibeter?«
Sepailow verneinte.
»Jahantsi denkt, er könnte Mongole sein oder …«
Wieder zögerte er.
»Na?«
»Oder Russe. Ein Burjate. So sagt Jahantsi.
Da ist noch ein zweiter Junge. Ein Europäer, besagen die Gerüchte. Es heißt, auch er sei eine Art Inkarnation.«
»Der erste Junge, der Tibeter – hat Jahantsi gesagt, wer der sein soll? Wofür er sich ausgibt?«
»Er hat nur von einer Art Erlöser gesprochen, General. Von einem Buddha. Vielleicht sollten Sie Jahantsi selber fragen.«
Ungern-Sternbergs Miene verfinsterte sich. Eine Ader auf seiner Stirn schlug heftig. Sepailow konnte ihm nicht in die Augen sehen.
»Was für ein Buddha? Hat das Jahantsi auch gesagt? Los, Mann! Raus mit der Sprache!«
»Ich …, ich …«, stammelte Sepailow. Wie viele Männer hatte er schon mit bloßen Händen umgebracht, aber vor Ungern-Sternberg stammelte er wie ein Schuljunge.
»Was denn nun?«
»Ich kann mich nicht erinnern, General. Es war etwas …, das mit M anfängt, glaube ich.«
»Maidari? War es das? Der Maidari Buddha? Sagen Sie schon!«
»Ja. Ja, ich glaube, das war es. Jetzt bin ich sicher. Aber Sie sollten wirklich Jahantsi fragen. Der weiß es genau.«
»Na schön. Sagen Sie Jahantsi, dass ich ihn sprechen will. Sofort. Sorgen Sie dafür, dass er das auch versteht. Es interessiert mich nicht, ob er gerade eine Sitzung des Ministerrates leitet oder was er sonst treibt. Und sagen Sie ihm, ich will heute Abend Bogdo Khan sprechen.«
»Den Hutuktu?«
»Ja, den Hutuktu. Allein. In seinem Palast. Heute Abend.«
»Zu Befehl.« Sepailow wollte sich erheben.
»Moment!«, schnarrte Ungern-Sternberg ihn an. »Wir sind noch nicht fertig.«
Erschrocken nahm Sepailow wieder Platz.
»Entschuldigung, ich …«
»Schicken Sie ein Telegramm an Kasanzew. Gehen Sie zum Telegrafen und überwachen Sie das selbst. Stellen Sie sicher, dass Kasanzew am anderen Ende der Leitung ist.«
»Zu Befehl, General.«
»Teilen Sie ihm mit, er soll sofort nach diesen Jungen und ihrem Begleiter suchen lassen. Dafür soll er jeden Mann abstellen, den er entbehren kann. Passen Sie auf, dass er das auch versteht. Gute Männer. Mongolen, Tibeter, Burjaten. Keine Russen. Verstanden?«
»Ja, General. Ist das alles?«
»Nein. Teilen Sie ihm mit, ich will, dass die Jungen getötet werden. Der Mann soll möglichst am Leben bleiben. Aber die Jungen müssen weg. Und wenn er dafür jeden Jungen zwischen hier und Uljassutai umlegen lassen muss. Hauptsache die beiden sind dabei. Vor allem der Tibeter. Stellen Sie das ganz klar. Jetzt können Sie gehen.«
Sepailow sprang auf, salutierte und wandte sich zum Gehen.
»Und, Sepailow …«
»Ja, General?«
»Teilen Sie Kasanzew mit, ich will seinen Kopf. Er soll mir den Kopf des Jungen schicken. Sagen Sie ihm das mit allem Nachdruck. Er kann ihn ja mit Stroh oder etwas anderem ausstopfen. Aber ich will seinen Kopf.«
»Ja, General. Den Kopf. Sehr gut, General. Ich werde es ihm mitteilen.« Das war doch etwas Handfestes. Auf Köpfe verstand sich Sepailow. Damit konnte er etwas anfangen. Der ganze andere faule Zauber war ihm einfach
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