Der neunte Buddha - Thriller
Winterpoletauschte jetzt seinen Platz mit Christopher, damit der sich Chindamani zugesellen konnte.
Sie ging ganz nah bei ihm und hielt seine Hand fest in der ihren, als suche sie Sicherheit oder Wärme, die er ihr in diesem nervösen Zustand kaum geben konnte. Einmal berührten ihre Lippen in der Dunkelheit kurz die seinen, als sie an einer kleinen Kreuzung warten mussten, die vom Duft einer verborgenen Blüte erfüllt war. Er wusste nicht, ob sie Tsering etwas von ihrem Verhältnis gesagt hatte, aber bevor es dunkel wurde, hatte er gesehen, dass der Mönch nach wie vor alle Regeln der Ehrerbietung streng beachtete, die einer Inkarnation der Göttin Tara zukamen.
Christopher selbst fiel es inzwischen leichter, Chindamani wie eine normale Frau zu behandeln. Er sah sie jetzt mit etwas weniger Ehrfurcht als zuvor. Seit sie Dorje-la verlassen hatten, war die Göttin in ihr in den Hintergrund getreten. Vielleicht traf das nicht ganz das Wesen der Sache. Die weiten Ebenen und überwältigenden Landschaften der Mongolei hatten ihr etwas von der naiven Selbstbezogenheit genommen, die die hohen Mauern und die düsteren Kammern des Klosters mit ihren bemalten Wänden in ihr genährt hatten.
Sie fanden das Anwesen ohne Schwierigkeiten, obwohl Christopher nicht hätte sagen können, worin es sich äußerlich von den umliegenden unterschied. Urga war im Grunde wenig mehr als ein Nomadenlager, das sich stark ausgewachsen hatte und auf Dauer angelegt war. Viele Tempel bestanden aus Zelten, die abgebaut und verlegt werden konnten, wenn es die Situation erforderte. Die meisten Behausungen waren runde Jurten aus dickem Filz, der über leichte Gitter aus Birkenholz gezogen wurde.
Die Umfriedung überwanden sie ohne Mühe. Sie diente eher der Abgrenzung der häuslichen Sphäre als dem Schutzvor Räubern. Selbst in unruhigen Zeiten wie diesen kamen Diebstähle kaum vor. Sie stiegen hinüber, wobei sie sich stets im Schatten hielten und auf jedes Anzeichen von Leben achteten. Christopher trug eine Pistole bei sich, die er im Konsulat gefunden hatte. Er hielt sie schussbereit, betete aber, sie nicht einsetzen zu müssen. Er wollte Samdup und wenn möglich auch William finden und sie in aller Stille, ohne jedes Aufsehen von hier fortbringen. Samjatin konnte warten. Ohne Samdup, so vermutete Christopher, war der Russe ein Nichts.
Vor ihnen erhoben sich, kaum sichtbar, zwei Jurten – eine kleine und eine, die größer war als die übrigen. Sie ragten vor ihnen auf – weiße, gewölbte Gebilde, die die Umfriedungen einzuengen schienen.
»Welche ist es?«, flüsterte Christopher Tsering zu.
»Die größere. Die kleinere dient als Lager für Treibstoff und Proviant. Der Junge kann in der großen Jurte oder dem Holzhäuschen dahinter sein. Genau weiß ich es nicht. Wir sollten zuerst in der Jurte nachschauen.«
Gebückt und auf Zehenspitzen schlichen sie sich an die Jurte heran. Der Boden war gestampfter Lehm. Der feste und zugleich elastische Untergrund dämpfte ihre Schritte. Aus dem Zelt drang kein Laut. In der Ferne fingen Hunde heftig an zu bellen. Sie durchstreiften die Stadt auf der Suche nach Fressbarem, woran zur Zeit kein Mangel herrschte.
Plötzlich blieb Tsering stehen und beugte sich noch tiefer herunter. Er deutete Christopher und Chindamani an, das Gleiche zu tun. An der Südostseite des Zeltes, wo sich die Tür befand, erkannten sie im Dunkeln die Gestalt eines Mannes. Er stand, gestützt auf etwas, das ein Gewehr sein konnte, und schien Wache zu halten.
»Gehen Sie nach hinten«, zischte Tsering, »und warten Sie dort auf mich.« Geräuschlos verschwand er in der Dunkelheit
»Geht ihr zwei nur«, flüsterte Winterpole. »Ich gebe dem Mönch Deckung bei seinem Erkundungsgang.«
Winterpole folgte Tsering und wurde ebenfalls sofort von der Dunkelheit verschluckt. Christopher und Chindamani gingen um das runde Zelt herum. Hinten war es noch dunkler. Sie hockten sich nieder und lauschten gespannt.
Nach etwa fünf Minuten, die ihnen wie eine Ewigkeit vorkamen, war Tsering zurück.
»Sie haben nur die eine Wache ausgestellt«, flüsterte er. »Wir können von unten in die Jurte kriechen. Der Filz wird nur von Holzklötzen am Boden gehalten, um die Kälte nicht hereinzulassen.«
Er bückte sich und begann, Holzklötze von der Chayaa, dem Bodenteppich der Jurte, zu entfernen. Christopher half ihm dabei.
»Wo ist Winterpole?«, fragte er.
Tsering schaute ihn verdutzt an.
»Ist er nicht hier?«
»Nein, er wollte dich
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