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Der neunte Buddha - Thriller

Der neunte Buddha - Thriller

Titel: Der neunte Buddha - Thriller Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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morgen bei Tagesanbruch.«
56
    Als sie Ta Chure erreichten, war es schon dunkel. Es war eine scheußliche, furchterregende Dunkelheit. Auf den Straßen lagen Leichen in Wartestellung, Kissen unter ihren Köpfen und Gebetsbücher in den kalten Händen. Die Hunde taten sich an ihnen gütlich. So war es Sitte.
    Auf Tserings Anraten waren sie zu Fuß vom Konsulat aufgebrochen; mit Pferden hätten sie sich der Gefahr ausgesetzt, Aufsehen zu erregen. Winterpole wollte zuerst nicht mitkommen, aber Christopher hatte darauf bestanden. Er misstraute ihm nach wie vor und wollte ihn nicht unbeaufsichtigt lassen.
    Als sie sich durch das Gewirr der stillen Gassen in Richtung Zentrum bewegten, gerieten sie immer mehr in den Bannkreis der Mauern der heiligen Stadt. Die Tempel hallten von Gesängen und Gebeten wider. Lampen flackerten. Überall bereiteten sich Mönche auf den nahen Festtag vor. In den größeren Straßen gingen, hinkten oder krochen immer noch Pilger in Richtung Winterpalast des Hutuktu.
    Es war kaum erklärbar, wie Tsering ohne Licht den Weg durch die Dunkelheit fand. Aber er zögerte kein einziges Mal, als habe er Eulen- oder Katzenaugen. Der Mond war noch nicht aufgegangen, und das schwache Licht der Sterne gelangte nicht bis in die verwinkelten, engen Gässchen, durch die sie schlichen.
    Tsering und Christopher gingen voran, Chindamani und Winterpole bildeten die Nachhut. Auf dem Weg nach Ta Chure berichtete Christopher dem Mönch von den Umständen, unter denen sein Bruder zu Tode gekommen war. Dass Tsewong zum Christentum übergetreten war, dass er ein silbernes Kruzifix bei sich hatte, das einst Christophers Vater gehörte, behielt er für sich. Nicht dem Abt von Dorje-la , dachte er bei sich, sondern meinem Vater, der vor vielen Jahren im Schnee am Nathu-la gestorben war .
    »Ich weiß nicht, warum Tsewong sich umgebracht hat«, bekannte Christopher. »Er hat keine Nachricht und keinen Hinweis hinterlassen. Vielleicht wusste es der Missionar, bei dem er untergekommen war. Aber der behauptete, er kenne deinen Bruder nicht.«
    »Das habe ich erwartet«, sagte Tsering. »Dass er ihn am Ende verleugnet.«
    »Ich verstehe nicht«, sagte Christopher erstaunt. »Du sprichst, als ob du ihn kennst. Als ob du Carpenter kennst.«
    Tsering nickte, ein schmaler Schatten in der Dunkelheit.
    »Ja, ich habe ihn gekannt. Er war einmal in Dorje-la. Wussten Sie das nicht? Ungefähr vor sechs Jahren, ein Jahr bevor ich Tibet verließ, um hier zu studieren. Vielleicht ist er danach wiedergekommen, das müsste Herrin Chindamani wissen.«
    »Ich habe mit ihr nie über ihn gesprochen. Was wollte er in Dorje-la?«
    Der Mönch antwortete nicht sofort. Er verlangsamte seinen Schritt.
    »Er hatte gehört – woher, weiß ich nicht – dass der Abt von Dorje-la ein Pee-ling sei und früher Christ gewesen war. Vielleicht glaubte er, er sei noch immer Christ, eine Art Missionar wie er selbst. Jedenfalls tauchte er mitten im Sommer bei uns auf und bat um Unterkunft im Kloster. Er blieb mehrere Wochen. Seine Reise war sehr hart gewesen. Er wirkte völlig erschöpft und hatte Fieber. Als er sich nach einer Behandlung mit Kräutern wieder erholt hatte, durfte er dem Dorje Lama einen Besuch abstatten. Sie sprachen einen ganzen Tag miteinander. Dann machte sich Kah-pin-teh auf die Rückreise. Der Abt gab ihm meinen Bruder als Führer mit, der ihn über die Pässe nach Sikkim bringen sollte.«
    Tsering ging noch langsamer. Die Dunkelheit schloss seine Worte ein, die Nacht umhüllte die Erinnerung an seinen Bruder.
    »Als Tsewong zurückkam«, fuhr er fort, »haben wir beide lange miteinander gesprochen. Er sagte, der Pee-ling -Lehrer habe ihn zu seinem Glauben bekehrt, und er sei jetzt ein Christ.«
    Tsering unterbrach sich und warf Christopher einen Blick zu. »Danach hat er nie wieder Ruhe gefunden. Er war immer eine Last für ihn, dieser ausländische Glaube von einem sterbenden Gott und der Rettung der Welt durch Blut. Mit seinem Leben als Mönch war er nie glücklich gewesen, aber auch der neue Glaube schien es nicht besser zu machen. Er hat sich sehr hart damit auseinandergesetzt, er schien ihn ganz und gar zu verschlingen. Er muss auch dem Abt von seinem Dilemma berichtet haben, hat mir aber nie gesagt, was zwischen den beiden vorgegangen ist.«
    Christopher spürte das silberne Kruzifix auf seiner Brust. Er konnte sich vorstellen, wie sehr sein Vater Tsewongs Situation verstanden hatte.
    Um sie herum wurde es immer dunkler.

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