Der neunte Buddha - Thriller
der es stand, machte den Eindruck, als sei es wie der Palast in »Aladins Wunderlampe« aus dem schottischen Hochland an diesen Ort versetzt worden. Hier in Kalimpong präsentierte sich der Christengott nicht nur als offene Herausforderung an die endlose Zahl von Schutzgöttern hoch oben in den Bergen, sondern der schottische Presbyterianismus zugleich als Barriere gegen die zweifelhaften Sitten der bisher nicht erlösten Massen der Ebenen Indiens.
Während ganz Kalimpong die kalte Wintersonne genoss, die die strahlend weißen Berge im Norden zu reflektieren schienen, lagen die Knox Homes und der Weg dorthin inschattigem Halbdunkel, als ob die Steine der mächtigen Gebäude nichts als graue, melancholische Farbtöne hereinließen. Der Weg war von dichten dunkelgrünen Zypressen gesäumt, die den Eindruck erweckten, als seien sie direkt einem Gemälde von Böcklin entsprungen. Alles hier war in Schatten getaucht, nicht nur von ihm berührt, sondern geradezu von ihm durchtränkt und geplagt. Reverend Carpenter hatte wohl mehr als den Christengott und den Presbyterianismus nach Kalimpong gebracht.
Der Pfad führte direkt zu einer kurzen Treppe, die vor einer schweren hölzernen Tür endete. Jetzt gab es kein Ausweichen mehr. Christopher, Katholik und Engländer, und noch mit dem Reisestaub in den Kleidern, hob den schweren Türklopfer aus Messing und kündigte sich den Bewahrern des Christentums drinnen mit lautem Geräusch an.
Die Tür öffnete ein indisches Mädchen von etwa fünfzehn Jahren, gekleidet, wie es wohl in den Knox Homes üblich war. Sie trug ein dunkelgraues Gewand, das in der Taille von einem schwarzen Ledergürtel zusammengehalten wurde. In Gesicht und Haltung war nicht die Spur von Freundlichkeit zu entdecken. Der schwache schottische Akzent brachte Christopher auf den Gedanken, dass in ihrer Seele wohl mehr als eine Spur von calvinistischer Härte zu finden war.
»Würdest du bitte Reverend Carpenter mitteilen, dass Mr. Wylam, den Mr. Frazer angekündigt hat, in Kalimpong eingetroffen ist und ihn so rasch wie möglich sprechen möchte.«
Das Mädchen musterte ihn von oben bis unten, und was sie sah, gefiel ihr offenbar gar nicht. In diesem Hause wurde man zu Sauberkeit, Gottesfurcht und Keuschheit angehalten. Der unrasierte Mann vor ihr machte wohl den Eindruck, dass es ihm an all dem mangelte. Aber er sprach wie ein englischer Gentleman und hatte auch dessen Auftreten.
»Ja, Sahib. Darf ich Ihre Karte haben, Sahib?«
»Sorry«, antwortete er. »Ich bin gerade erst aus England angekommen und hatte noch keine Zeit, mir Karten drucken zu lassen. Würdest du bitte Reverend Carpenter einfach meinen Namen und meine Bitte mitteilen?«
»Reverend Carpenter ist heute sehr beschäftigt, Sahib. Vielleicht kommen Sie besser morgen wieder. Mit Karte.«
»Ich habe doch gerade gesagt, dass ich keine Karte habe, junge Lady. Würdest du bitte tun, was ich sage und meine Nachricht an …«
In diesem Augenblick wurde die junge Lady von einer mageren, sehr presbyterianisch wirkenden Frau von Anfang vierzig brüsk beiseitegeschoben.
»Ich bin Moira Carpenter«, sagte sie höflich mit einem Edinburgher Akzent, der Glas zerspringen lassen konnte. »Kenne ich Sie?«
»Zu meinem Bedauern, nein, Madam«, erwiderte Christopher. »Mein Name ist Wylam, Christopher Wylam. Soviel ich weiß, hat Mr. Frazer, der Handelsvertreter am Ort, vergangene Woche mit Ihrem Gatten über mich gesprochen. Zumindest teilte man mir das mit, bevor ich Kalkutta verließ.«
»Ach, Sie sind Mr. Wylam. Wie schön, dass Sie bei uns vorbeischauen. Ich habe, äh … Sie mir etwas anders vorgestellt.«
Was Moira Carpenter da sagte, meinte sie auch. Sie passte genau in ihre Umgebung, als habe John Knox’ mürrischer und ungeselliger Gott sie beide in ein und demselben kosmischen Augenblick erschaffen – dunkle Erscheinungen, in die strahlende Sonne Indiens versetzt, um sie gleichsam zu verdüstern. Wie jemand, der permanent trauert, trug sie Schwarz, ein langes Kleid ohne eine Spur von Besatz oder Schmuckwerk, eher ein Käfig für den Körper als eine Hülle für die Seele.
Als Mutter Dutzender bettelarmer indischer Kinder –
wenn dieses Wort hier überhaupt angebracht war – hatte sie es bereits mit achtundzwanzig Jahren aufgegeben, eigenen Nachwuchs zu bekommen. Ihr Schoß, so hatten ihr die Ärzte der königlichen Geburtsklinik in Edinburgh eröffnet, sei dafür nicht geschaffen. Die vier missgestalteten Fehlgeburten, die sie zur Welt
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