Der neunte Buddha - Thriller
eine Auge war zugenäht, die langen Narben von den groben Stichen verunstalteten ihre linke Wange. Die Haut des Gesichts aber auch der Arme und Beine war entzündet und voller Blasen. Aber all das schockierte Christopher nicht so sehr wie das, was sie mit ihren Händen tat.
Er glaubte, es müsse ein Hund sein, aber er war sich nicht sicher. Das Messer, das sie benutzte, war stumpf und rostig, weshalb ihre Metzgerarbeit eine mühselige, langsame Angelegenheit war. Die Passanten wandten den Blick ab, als scheuten sie das Mädchen und das Fleisch, das sie bearbeitete. Nur Christopher stand da wie angewurzelt und konnte den Blick nicht von ihr wenden. Der Gesang begleitete ihr Tun, und Christopher begriff, dass sie für das tote Tier sang. Ihre Finger waren voller Blut und die langen, aufgeschlagenen Ärmel ebenfalls. Schließlich riss Christopher sich los und ging durch das Gedränge in der schmalen Straße fort. Hinter ihm hob und senkte sich die Stimme des geistesgestörten Mädchens in einer endlosen Beschwörung des toten Tieres. Die Hunde fielen ihm ein, die er nachts gehört hatte, ihr Gebell, das die Dunkelheit durchdrang.
Er ging in Richtung Krankenhaus durch Straßen voller Menschen und Tiere. Im Basar war der blinde Bettler an seinem Platz und murmelte Gebete vor sich hin. Christopher eilte vorüber und ignorierte diesmal sein Flehen. Aus einer Seitengasse zu seiner Rechten bog eine kleine Gruppe singender Männer in die Hauptstraße ein. Es waren Bauls, Mitgliedereiner Kultgemeinschaft von Wandermönchen, die Gott außerhalb der Rituale und Zeremonien organisierter Glaubensgemeinschaften suchten. Sie hatten einfache Musikinstrumente bei sich, spielten und sangen beim Gehen. Als sie sich näherten, wurde Christopher bewusst, dass sie dasselbe Lied sangen, das er vor einigen Minuten von dem Mädchen gehört hatte.
Bondhur bangshi baje bujhi bipine;
Shamer bangshi baje bujhi bipine. Plötzlich fühlte er sich wie in einem Alptraum gefangen. Er lief davon, die Stimmen der Männer im Ohr und darunter die klagende Melodie des Mädchens, kalt und unvergesslich.
Das Krankenhaus stand neben der von der Regierung betriebenen Apotheke. Es war eine kleine Einrichtung mit nur 28 Betten, wirkte aber sauber und gepflegt. Der kleine, weiß getünchte Vorraum war leer, als Christopher eintrat. Eine lackierte Holztafel an der Wand kündete vom Eröffnungsjahr des Hospitals und dass es dem Ruhme des christlichen Gottes gewidmet war. Darunter stand ein Verbandwagen mit mehreren Nierenschalen, einem Spülgerät und einer Sterilisationszange in einem Glas. Ein blutgetränkter Verband in einer weißen Emailleschale störte den Eindruck der keimfreien Umgebung. Von einem Bild über dem Wagen lächelte ein blonder Jesus makellos und selbstgefällig herab, umgeben von Scharen lachender Kinder, von denen nicht eines etwas Indisches an sich hatte.
»Koi hai« , rief Christopher, und seine Stimme hallte in der Stille wider. Äthergeruch schlug ihm entgegen. Irgendwo bat jemand um Hilfe und verstummte wieder. Dann erklang ein trockener, quälender Husten, der in Erbrechen überging. Metall schlug gegen Metall.
Wie aus dem Nichts tauchte ein Angestellter auf. Er trugeine gestärkte weiße Uniform und die Pugaree, eine mit festem Band umwickelte Kopfbedeckung, an der das Emblem des Krankenhauses steckte.
»Haben Sie gerufen, Sahib?«
»Ja«, sagte Christopher. »Ich möchte zu Dr. Cormac. Er erwartet mich. Er sagte, ich sollte zu seinem Bungalow kommen. Wo finde ich den?«
»Wenn Sie aus dem Haus treten, Sahib, halten Sie sich links, dann stoßen Sie auf eine Zedernallee. Dort ist ein Tor. Gehen Sie den Weg weiter bis zum dritten Bungalow. Ich führe Sie gern hin, Sahib.«
Das bedeutete, dass er ein Auge auf Christopher haben wollte.
»Nein, danke. Ich finde es schon selbst.«
Ohne abzuwarten, ob der Mann ihm folgte, trat Christopher in den Sonnenschein hinaus. Ein Diener fegte den Schotterweg vor dem Haus. Mit gleichmäßigen Bewegungen schwang er den Besen hin und her, als hätte er ein Leben lang nichts anderes getan. Als Christopher herauskam, blickte er kurz zu ihm auf, wandte sich aber sofort wieder ab, denn der Sahib könnte sich gestört fühlen.
Vor dem Krankenhaus erstreckte sich akkurat geschnittener Rasen, dann kamen die Zedern, deren mächtige Äste fast bis zum Boden reichten. An dem Tor hing ein kleines Schild, das mit schwarzen Buchstaben auf weißem Grund verkündete: »Für Eingeborene Zutritt verboten«.
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