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Der neunte Buddha - Thriller

Der neunte Buddha - Thriller

Titel: Der neunte Buddha - Thriller Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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in eine weite Ferne schaut. Sie war es und war es auch wieder nicht. Auf dem ersten Bild wirkte sie völlig normal, sogar hübsch. Sie war also nicht verkrüppelt gewesen, als sie in den Knox Homes lebte.
    Auf die Rückseite aller Bilder hatte jemand, wahrscheinlich Cormac, mit Bleistift eine paar Worte geschrieben. Den Namen, einen Ort und in mehreren Fällen ein Datum: »Jill, Jaipurhat, 10. 2. 15«; »Hilary, Sahibganj, 9. 5. 13«. Auf denAufnahmen der Jungen war der Ort stets der gleiche, gefolgt von einem Fragezeichen: »Simon, Dorje-la?, 1916«; »Matthew, Dorje-la?, 1918«; Gordon, Dorje-la?, 1919«. Dorje-la! War das nicht der Name des Klosters, dem Tsewongs rätselhafter Dorje Lama vorstand?
    Christopher wickelte die Fotos in das Packpapier und steckte das Päckchen in seine Jackentasche. Sein Herz schlug immer noch aufgeregt. Es war wie ein Alptraum, in dem ihn zuerst die Stimme und nun das Gesicht des wahnsinnigen Mädchens von der Straße verfolgte. Hatten diese Aufnahmen etwas mit den Dingen zu tun, über die Cormac letzte Nacht gesprochen hatte? War es das, was der Arzt ihm hatte zeigen wollen? Eines schien klar zu sein: Wer auch immer den Doktor getötet hatte, war nicht darauf gekommen, dass noch etwas in dem Schreibtisch versteckt sein könnte.
    Wieder schob er seine Hand tief in das Fach hinein. Da bekamen seine Finger etwas Kaltes, Hartes zu fassen. Es war eine feine Kette, befestigt an einem Gegenstand. Das silberne Kreuz! Behutsam zog Christopher es hervor. Angst erfasste ihn.
    Es war ein einfaches Kruzifix. Holz und Fleisch waren zu Silber erstarrt. Christophers Nackenhaar sträubte sich. Es war so unglaublich, dass er es zuerst gar nicht bemerkte. Dieses Kreuz kannte er. Kein Wunder: Er hatte es viele Male betrachtet. Als Kind hatte er es oft in der Hand gehalten. Er drehte es um und fand seine Erwartung bestätigt: Auf der Rückseite neben dem Silberstempel waren die Buchstaben R. V. W. eingraviert. Die Initialen seines Vaters: Robert Vincent Wylam. Dieses Kreuz hatte seinem Vater gehört. Es war das einzige Erbstück, das man nicht zusammen mit seinen Medaillen und Manschettenknöpfen nach England geschickt hatte. Aus den Händen und Füßen der zierlichen Christusfigur schauten die Köpfe von Nägeln heraus. AlsChristopher klein war, hatte er sie nur mit Erschauern berührt. Jetzt umklammerte seine Hand das Kreuz, bis die scharfen Kanten ihm ins Fleisch drangen und ein paar Blutstropfen zwischen seinen Fingern hervorsickerten.
    Er hörte das Summen der Fliegen, die immer noch fieberhaft durch den dunklen Raum kreisten, das Heulen der Hunde, die auf der Suche nach etwas Fressbarem durch dunkle, stinkende Gassen schnürten, und die Stimme des Mädchens, das in der Nacht draußen sang. Mit blutenden Finger umkrampfte er das Kreuz. Er stand mitten im Raum, bitterlich schluchzend, einsam und verlassen, ohne zu wissen, wo er war und warum.
14
    Christopher verlor jedes Zeitgefühl. Er blieb in dem Raum, umklammerte das Kruzifix und hatte alles ringsum vergessen. Er war dem Teufel begegnet, dem Herr der Fliegen, dort in diesem winzigen Schlafzimmer, wo Tausende Flügel surrten. Bilder von seinem Vater, der in einem Schneesturm umkam, von dem entstellten Mädchen, das vor seinem Fenster sang, von Männern, die er getötet oder sterben sehen hatte, stiegen in ihm auf.
    Gleichzeitig blieb ein Teil seines Hirns eiskalt und suchte fieberhaft zu ergründen, was geschehen war. Jemand musste sein Gespräch mit Cormac am Abend zuvor belauscht haben, davon war er jetzt überzeugt. Das hatte diesen überstürzten, stümperhaften Versuch zur Folge, zu verhindern, dass der Arzt preisgab, was er wusste. Carpenter oder jemand, der in seinem Auftrag handelte, war für den Mord verantwortlich. Jetzt zweifelte Christopher nicht mehr daran, dass der Missionar tief in die Vorgänge verstrickt war, die hier abliefen. Das hieß aber, dass er auch mit Williams Entführungetwas zu tun haben musste. Weiter wagte er gar nicht zu denken. In einem Winkel seines Gedächtnisses wisperte die Stimme seines Vaters längst vergessene Worte aus der Vergangenheit, die Christopher nicht recht verstand.
    Schließlich erhob er sich und verstaute das Kruzifix sorgfältig in der Innentasche seiner Jacke. Er prüfte noch einmal den Inhalt von Cormacs Schreibtisch, konnte aber nichts entdecken, das im Zusammenhang mit Carpenter, Tibet oder den Fotos zu stehen schien.
    Es war Zeit zu gehen. Jetzt wusste er genau, welches Ziel er anzusteuern

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