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Der neunte Buddha - Thriller

Der neunte Buddha - Thriller

Titel: Der neunte Buddha - Thriller Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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sah nichts als Schatten.
    »Er tut mir leid«, sagte Christopher. »Er muss sehr traurig gewesen sein.«
    Sie schlug die Augen nieder. Sie sah ihn nicht an. Sie starrte ins Leere.
    »Ja«, flüsterte sie. »Aber vielleicht nicht trauriger als andere Dalai Lamas, andere Inkarnationen. Wir leben alle so. Wir sind alle auf ähnliche Weise deformiert. Unsere Körper sind blass, Christopher. Unser Fleisch ist wie Eis. Unser Leben besteht aus endlosen Ritualen.«
    Sie blickte auf, als fürchte sie, er könnte verschwunden sein.
    »In meinem ganzen Leben habe ich noch an keiner Blume gerochen. Ich kenne nur Weihrauch. Nur Butterlampen. Hier gibt es keine Blumen.«
    Blumen könnten nirgendwo in dieser Welt überleben, dachte Christopher bei sich. In Schnee, Eis und Frost.
    Chindamani stand auf und ging zum Fenster. Wie die anderen auf dieser Etage war auch dieses verglast. Sie schaute in die Dunkelheit hinaus durch ihr eigenes Spiegelbild, durch die Reflexe der Lampen hindurch aus einer Schattenwelt in eine andere. Die Dämmerung war noch nicht eingetreten, aber am Himmel zeigte sich bereits ein schwacher Widerschein. Sie blickte in das stille Ende der Nacht.
    »Wir kommen aus der Finsternis«, sagte sie, »und in die Finsternis gehen wir zurück.«
    Dieser Pee-ling verwirrte sie. Er hatte alles in ihr auf den Kopf gestellt. Ihr ganzes Leben lang hatte sie keinen anderen Ort gekannt als Dorje-la. Seit zwanzig Jahren sah sie die Sonne über denselben Bergen aufgehen, betete zu denselben Göttern, lief durch dieselben Gänge.
    Schweigend kehrte sie zu ihrem Sitz zurück.
    »Ka-ris To-feh« sagte sie leise, »lieben Sie Ihren Sohn sehr?«
    »Natürlich.«
    »Was wäre, wenn Sie eine Bestimmung fänden?«, fragte sie. »Hier in diesen Bergen. Vielleicht in Dorje-la. Würden Sie sie zurückweisen, um mit Ihrem Sohn nach Hause gehen zu können?«
    »Sie bieten mir eine Bestimmung an?«, fragte er zurück. »Geht es darum?«
    »Ich weiß nicht«, sagte sie, und er sah die Sorge in ihrem Blick.
    »Was erwarten Sie von mir?« Sie schwieg und schaute in die kleine Tasse, die sie in den Händen hielt. Wenn sie zerbrach, konnte sie nicht wiederhergestellt werden. Sie war für immer dahin. Nicht alles hielt ewig. Wandel war das Wesen der Dinge.
    »Führen Sie uns von Dorje-la fort«, sagte sie. »Samdup und mich. Bringen Sie uns nach Norden. Weit im Nordengibt es ein Kloster, wo Samdup sicher ist. Auch Ihr Sohn wird dort geschützt sein, bis die Zeit kommt, da Sie mit ihm nach Hause zurückkehren können. Helfen Sie uns?«
    Er zweifelte. Seine und Williams Reise würde sich dadurch beträchtlich verlängern. Und ein solcher Umweg war auch nicht ohne Gefahr. Sein gesunder Menschenverstand sagte ihm, dass er mit nein antworten müsste. Aber er wusste bereits, dass er das nicht konnte.
    »Wie wollen wir den Weg nach Norden finden?«, fragte er.
    »Ich habe eine Karte. Sönam hat sie für mich aus der Bibliothek des Abts geholt.«
    Er schaute in ihr Gesicht, in ihre Augen. Er konnte seinen Blick nicht von ihr wenden.
    »Gut«, sagte er schließlich. »Ich komme mit Ihnen. Wir werden Ihren Zufluchtsort finden.«
    Lächelnd erhob sie sich.
    »Ich danke Ihnen«, flüsterte sie. Ein riesiger Stein war ihr vom Herzen gefallen. Warum hatte sie immer noch solche Angst?
    Draußen ertönte ein Horn.
    »Es ist Zeit für mich zu gehen«, sagte sie. »Ich werde heute noch einmal wiederkommen. Aber jetzt müssen Sie erst einmal schlafen. Wir haben nicht mehr viel Zeit. Ich denke, Samjatin will bald aufbrechen.«
    Er erhob sich ebenfalls und trat dicht an sie heran.
    »Passen Sie auf sich auf«, sagte er.
    Sie lächelte.
    »Schlafen Sie gut.«
    Er beugte sich nieder und küsste sie sacht auf die Stirn. Sie zuckte zusammen und drehte ihr Gesicht weg.
    »Auf Wiedersehen, Ka-ris To-feh«, sagte sie, wandte sich dann um und verließ das Zimmer über die Geheimtür, durch die sie gekommen war.
    Christopher trat zum Fenster und schaute hinaus. Wenn er genau hinsah, konnte er die Silhouette der Berge aus der Finsternis hervortreten sehen.

31
    Er träumte von Carfax, und in diesem Traum kam William ans Tor gelaufen, um ihn zu begrüßen. Er sah ihn, wie er schon von fern winkte und mit seiner kleinen, weißen Hand Muster an den Himmel zeichnete. Das ist so lange her, dachte er, und Tibet ist so kalt. Wie groß musste William geworden sein und wie warm das Feuer in der Bibliothek. Mit jedem Schritt, den er ging, wurde der Junge größer. Als er vor ihm stand, war

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