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Der neutrale Planet

Der neutrale Planet

Titel: Der neutrale Planet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Silverberg
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Gesicht, hundert Meter Leere unter
sich – Aber Satina nimmt seinen Köder nicht an. Sie bleibt lieber dort, wo sie ist. Die Versuchungen des Schwebens sind nicht stark genug.
    Mookherji besitzt nicht mehr genug Energie, um einen dritten Versuch zu unternehmen, sie aus ihrem Koma zu locken. Statt dessen schaltet er auf eine reine medizinische Funktion um und versucht den Ursprung des Traumas zu erkunden, das sie von der Welt abgeschnitten hat. Die Angst, zweifellos; und der furchtbare Riß in der Kuppel, das Ende aller Sicherheit; und der Anblick ihrer Eltern und ihres Bruders, die vor ihren Augen sterben; und der sumpfige Gestank der Titanatmosphäre in ihrer Nase – das alles, zweifellos. Aber Menschen haben sich von schlimmeren Dingen erholt. Warum besteht sie darauf, sich vom Leben zurückzuziehen? Warum findet sie sich mit der entsetzlichen Vergangenheit nicht ab und akzeptiert das Dasein wieder?
    Aber sie wehrt sich. Ihre Abwehr ist heftig; sie will nicht, daß er in ihr Denken eindringt. Alle Sitzungen sind so zu Ende gegangen: Satina, die sich in ihrem Schlupfwinkel festklammert, Satina, die jeden Versuch abwehrt, sie aus ihrem selbstgewählten Gefängnis zu befreien. Er hat weitergemacht in der Hoffnung, daß sie sich eines Tages lösen werde. Aber heute scheint der Tag nicht zu sein. Erschöpft zieht er sich aus dem Kern ihres Gemüts zurück und spricht mit ihr auf einer seichteren Ebene.
    - Du solltest wieder in die Schule gehen, Satina.
    - Noch nicht. Die Ferien waren so kurz!
    - Weißt du, wie lange?
    - Ungefähr drei Wochen, nicht wahr?
    - Bis jetzt sechzehn Monate, erklärt er ihr.
    - Das ist ausgeschlossen. Wir sind doch eben erst zum Titan geflogen – in der Woche vor Weihnachten, nicht wahr, und – - Satina, wie alt bist du?
    - Im April werde ich fünfzehn.
    - Falsch, sagt er. Der April war da und ist vorbei, und der nächste auch. Du bist vor zwei Monaten sechzehn geworden, sechzehn, Satina.
    - Das kann nicht stimmen, Doktor. Der sechzehnte Geburtstag eines Mädchens ist etwas Besonderes, nicht wahr, wissen Sie das nicht? Meine Eltern geben eine große Party für mich. Alle meine Freunde sind eingeladen. Und ein Neunstück-Roboterorchester mit Synthesizern. Und ich weiß, daß das noch nicht gewesen ist, wie kann ich also sechzehn sein?
    Seine Kraftreserven sind fast verbraucht. Seine geistigen Signale sind schwach. Er kann die Energie nicht aufbringen, ihr zu sagen, daß sie wieder die Wirklichkeit ausschließt, daß ihre Eltern tot sind, daß die Zeit vergeht, während sie hier liegt, daß es zu spät ist für eine Feier zum sechzehnten Geburtstag.
    - Wir sprechen wieder darüber – ein andermal, Satina. Ich… sehe… dich… morgen… wieder. Morgen… vormittag…
     - Gehen Sie nicht so früh, Doktor!
    Aber er kann die Verbindung nicht mehr aufrechterhalten und läßt sie zerbrechen.
    Mookherji stand auf und schüttelte den Kopf. Jammerschade, dachte er. Jammerschade. Er ging auf wackligen Beinen hinaus und blieb einen Augenblick im Flur stehen, an eine geschlossene Tür gelehnt, um sich die Stirn zu wischen. Er kam mit Satina nicht voran. Nach der ursprünglich ermutigenden Periode des Kontaktes war es ihm völlig mißlungen, die Tiefe ihres Komas zu mildern. Sie hatte es sich in ihrer wahnhaften Welt bequem gemacht, und er fand keinen Weg, sie herauszusprengen, Telepathie hin, Telepathie her.
    Er atmete tief ein, kämpfte das zunehmende Gefühl trostloser Entmutigung nieder und ging zum Zimmer des nächsten Patienten.
    Die Operation verlief glatt. Zwei Dutzend Medizinstudenten im sechsten Semester bevölkerten die Zuschauergalerie des OP-Saals im zweiten Stock der Klinik, studierten Dr. Hammonds erfahrene Technik durch direkte Beobachtung und gleichzeitige mikroverstärkte Wiedergabe auf ihren Bildschirmen. Der Patient, ein Gehirntumoropfer Ende Sechzig, war nur als Kopf- und Schulterstück sichtbar, das aus einer Lebenserhaltungskammer ragte. Sein Schädel war rasiert; blaue Linien und dunkelrote Punkte waren aufgemalt, um die inneren Schädelkonturen zu zeigen, wie sie vorher durch Kurzstrecken-Sonarechos festgelegt worden waren; der Chirurg hatte die Lasergeräte justiert, mit denen der Tumor excidiert werden sollte. Der schwierige Teil war vorbei. Jetzt brauchten nur noch die Laser auf volle Leistung gebracht zu werden, damit sie ihre grellen, präzisen Lichtblitze in das Gehirn des Patienten schicken konnten. Gehirnchirurgie dieser Art verlief völlig unblutig; man brauchte Haut

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