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Der neutrale Planet

Der neutrale Planet

Titel: Der neutrale Planet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Silverberg
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der Terminierung standen. War das der Ort, wohin man die Menschen brachte, wenn die Zeit ihres Todes nahte? Würden sie auch gestorben sein, wenn der Vsiir seine Versuche nicht unternommen hätte? Bedeutete der Versuch eines Kontakts gerade noch eine solche Belastung für schon erlahmende Energien, daß die beiden eben diese Belastung nicht mehr ertragen hatten? Der Vsiir wußte es nicht. Er war sich bewußt, wie viele wichtige Faktoren ihm fehlten. Nur eines stand fest: seine Zeit lief langsam ab. Wenn er nicht bald Hilfe fand, würde metabolischer Zerfall einsetzen, gefolgt von metamorphosischer Starre, gefolgt von einem tödlichen Verlust an Anpassungsfähigkeit, gefolgt von… Terminierung.
    Der Vsiir hatte keine Wahl. Die Suche nach dem Kontakt mit einem menschlichen Gehirn fortzusetzen, bedeutete seine einzige Chance, zu überleben. Vorsichtig und schüchtern sandte der Vsiir seine Gedanken wieder hinaus, auf der Suche nach einem aufnahmefähigen Gehirn. Das hier war abgeschirmt. Dieses auch. Und auch die alle: kein Zugang, kein Zugang! Der Vsiir fragte sich, ob die Barrieren dieser Menschen einfach dazu dienten, eindringendes nicht-menschliches Bewußtsein fernzuhalten, oder ob sie in Wirklichkeit jeden Menschen gegen geistigen Kontakt aller Art abschirmten, einschließlich dem mit anderen Menschen. Wenn es einen Kontakt von Mensch zu Mensch gab, hatte der Vsiir ihn nicht entdeckt, weder in diesem Gebäude, noch an Bord des Raumschiffs. Was für eine seltsame Rasse!
    Vielleicht war es am besten, es in einem anderen Stockwerk zu versuchen. Der Vsiir floß ohne Mühe unter einer geschlossenen Tür hindurch und eine Hintertreppe zu einer höheren Etage hinauf. Wieder sondierte er mit seinen Gedanken. Hier ein abgeschlossenes Gehirn. Und hier. Und da. Und dann ein empfangsbereites. Der Vsiir bereitete seine Botschaft vor. Zur Sicherheit verminderte er die Energie seiner Sendung und ließ nur einen Hauch seiner Gedanken hinauszucken. Hörst du? Gestrandetes außerirdisches Wesen ruft. Sucht Hilfe. Möchte – Der Mensch reagierte mit einer scharfen, sengenden Mißvergnügensantwort, wortlos, aber unverwechselbar feindselig. Der Vsiir zog sich sofort zurück. Er wartete erschrocken und fürchtete, wieder eine Existenzbeendigung verursacht zu haben. Nein: das menschliche Gehirn funktionierte weiter, auch wenn es nicht mehr geöffnet war, sondern umgeben von der Barriere, die bei den Menschen sonst üblich war. Schlaff und bedrückt kroch der Vsiir davon. Wieder gescheitert. Gab es denn keinen Weg, mit diesen Leuten in Verbindung zu treten? Trübsinnig nahm der Vsiir seine Suche nach einem aufnahmebereiten Gehirn wieder auf. Was blieb ihm anderes übrig?
    Der Besuch im Quarantäne-Haus hatte Dr. Mookherji vierzig Minuten von seinem Arbeitsplan gekostet. Das beunruhigte ihn. Er konnte es den Quarantäneleuten nicht übelnehmen, daß sie sich über den Bericht der sechs Raumfahrer von chronischen Halluzinationen aufregten, aber er fand die Situation, so rätselhaft sie war, nicht so ernst, daß man ihn deshalb mit größter Dringlichkeit hätte holen müssen. Was mit den Raumfahrern los war, würde sich mit der Zeit ergeben; inzwischen waren sie vom Rest des Sternflughafens isoliert. Nakadai hätte mehr Untersuchungen anstellen sollen, bevor er ihn belästigte. Und es ärgerte ihn, wenn er seinen Patienten Zeit abzwacken mußte.
    Als er seine verspätete Morgenrunde begann, beruhigte Mookherji sich jedoch mit einer bewußten Anstrengung. Es würde weder ihm noch seinen Patienten nützen, wenn er sie angespannt und gereizt besuchte. Er sollte ein Heilender sein, kein Verbreiter von Unruhe. Er brachte ein paar Augenblicke damit zu, sich abzuregen, und als er das Zimmer des ersten Patienten betrat – das von Satina Ransom – war er überzeugend entspannt und freundlich.
    Satina lag auf der linken Seite, die Augen geschlossen, ein schlankes, sechzehnjähriges Mädchen mit zerbrechlich wirkendem Gesicht und langen, zarten, strohfarbenen Haaren. Ein Spinnennetz von Monitorsystemen umgab sie. Sie war seit sechzehn Monaten bewußtlos, zwölf davon hier in der neuropathologischen Station, die letzten sechs unter Mookherjis Obhut. Zum Ferienvergnügen waren ihre Eltern mit ihr zu einem der Urlaubsorte auf Titan geflogen, in der besten Jahreszeit, zur Besichtigung der Saturnringe; mit großen Schwierigkeiten war es ihnen gelungen, Plätze in der Galilei-Kuppel zu buchen, und sie befanden sich dort an dem schrecklichen Tag, als

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