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Der Nobelpreis

Der Nobelpreis

Titel: Der Nobelpreis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Eschbach
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Nobelversammlung zu bestechen, und niemand scheint sich groß darüber aufzuregen.«
    »Ach was«, meinte Bosse leichthin. »Geld regiert die Welt.«
    Er winkte ab. »Vergessen wir’s. Übermorgen ist die Abstimmung, und danach sollten wir dringend mal wieder einen trinken gehen, was hältst du davon?« Er beugte sich über seinen Schreibtisch, angelte nach seinem Terminkalender und fing an, in den wild bekritzelten Seiten zu blättern. »Himmel, das letzte Mal muss Jahre her sein …!«
    Hans-Olof musterte ihn, unsicher, was das alles zu bedeuten hatte. Das letzte Mal war Jahre her, richtig. Damals hatte Inga noch gelebt. »Ich trinke nicht mehr. Das weißt du doch.«
    »Ach ja, hast du erzählt. Macht nichts, dann nimmst du eben was ohne Alkohol. Mach ich vielleicht auch.« Bosse strich einen Krakel durch, schrieb einen anderen daneben, der wohl, wie man aufgrund des Bindestrichs vermuten konnte, Hans-Olof heißen sollte. »Lass uns ins Cadier gehen wie letztes Mal. Das war lustig.«
    Hans-Olof verzog das Gesicht. »Schon. Aber teuer.«
    Bosse sah hoch und hatte plötzlich ein schreckliches, wildes Funkeln in den Augen, eine Wut, die er offenbar nur mühsam zu zügeln vermochte. »Himmel noch mal, Hans-Olof«, zischte er und pfefferte seinen Kugelschreiber quer über den Schreibtisch, »wenn du dir solche Sorgen ums Geld machst, warum hast du es dann nicht einfach genommen und den Mund gehalten?«
    Einen Moment lang herrschte eine Stille, wie sie vielleicht nach der Explosion einer Bombe herrscht, wenn die einen tot sind und die anderen taub von dem überwältigenden Knall.
    Schließlich sagte Hans-Olof: »Schon gut. Das Cadier wäre großartig.«
    Dann machte er, dass er hinauskam.
     
    Über Nacht wandelten sich Hans-Olofs Gefühle. Als er zu Bett ging, spät am Abend und nach einem Streit mit seiner Tochter Kristina, die ihm vorwarf, ihr nie richtig zuzuhören und sie nicht ernst zu nehmen und überhaupt, die anderen aus ihrer Klasse bekämen viel mehr Taschengeld und müssten auch nie so früh zu Hause sein, da war er erfüllt von Verzweiflung darüber, dass Werte wie Ehrlichkeit, Redlichkeit, Forscherdrang und Begeisterung für eine Sache nichts mehr zu zählen schienen, nur noch Geld und was man dafür kaufen konnte: Ansehen, Aussehen, Dinge. Und als er am nächsten Morgen erwachte, hatte sich seine Verzweiflung in kalt brennende Wut verwandelt.
    Nein, beschloss er. Er würde sich dem entgegenstellen, und wenn er der Letzte und Einzige auf der ganzen Welt war, der so dachte. Es war nötig, eine Grenze zu ziehen und zu sagen: Bis hierhin und nicht weiter. Und diese Grenze war der Nobelpreis.
    Alfred Bernhard Nobels Vermächtnis war eine der großartigsten Verfügungen zum Wohle der Menschheit, die ein einzelner Mensch jemals getroffen hatte. Obwohl er sein Vermögen mit der Erfindung des Dynamits und anderer Sprengstoffe gemacht und an Kriegen verdient hatte, hatte er am Ende seines Lebens verfügt, dass dessen Ertrag den Wissenschaften zu Gute kommen sollte, der Literatur und vor allem: dem Frieden. Er hatte über die Grenzen von Nationen, Rassen und Geschlechtern hinausgedacht zu einer Zeit, als dies noch weitaus revolutionärere Gedanken gewesen waren als heutzutage. Mit den Nobelpreisen war aus seiner Vision ein Mythos geworden, ein Kraftquell für das Edelste und Höchste, dessen Menschen fähig waren.
    Und jemand wagte es, die Axt an die Wurzeln dieser erhabenen Institution zu setzen? Jemand besaß die Niedertracht, mit plumper Bestechung die Integrität und Unabhängigkeit der Preisvergabe unterlaufen zu wollen?
    Niemals. Morgen in der Nobelversammlung würde er, Hans-Olof Andersson, aufstehen und berichten, was vorgefallen war. Er würde eine Diskussion erzwingen. Er würde nicht rasten und nicht ruhen, ehe sichergestellt war, dass keiner der Stimmberechtigten auch nur im Mindesten beeinflusst war und dass der Entscheidung des Komitees keine anderen Kriterien zugrunde lagen als die der wissenschaftlichen Vortrefflichkeit. Kein Zweifel durfte bleiben, kein Schatten auf das Ansehen des Nobelpreises fallen. Dafür würde er sorgen.
    Erleichtert, seinen Standpunkt in der Welt gefunden zu haben, beflügelt von der Entschlossenheit, die einem ein guter Entschluss verleihen kann, und versöhnt mit seinem verzweifelten Selbst vom Vortag verließ er das Haus, wie jeden Morgen, kurz nachdem seine Tochter zur Schule aufgebrochen war, und fuhr ins Institut.
    Diesmal nahm er die Hauptzufahrt und sah, als er auf

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