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Der Nobelpreis

Der Nobelpreis

Titel: Der Nobelpreis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Eschbach
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werden?
    »Vielleicht können Sie ihm eine Nachricht zukommen lassen?«, schlug ich vor. Ich holte einen Fünfhundert-Kronen-Schein aus der Tasche, den ich ihm hinhielt. »Für eventuelle Auslagen. Porto und so.«
    Der Priester erstarrte in der Bewegung, sah den Geldschein an, als habe er noch nie einen über diesen Betrag gesehen.
    »Oder für wohltätige Zwecke«, fügte ich hinzu. »Wie Sie wollen.«
    Er nahm mir den Geldschein mit spitzen Fingern aus der Hand, faltete ihn bedächtig und schob ihn ein. »Es tut mir sehr Leid«, erklärte er dann. »Ich würde Ihnen sehr gerne helfen, aber ich habe wirklich keinen Kontakt zu Dimitri.«
    Na, toll. »Kann es sein, dass er den Gottesdienst woanders besucht?«, fragte ich. »In einer anderen orthodoxen Kirche?«
    »Möglich«, räumte der Priester widerwillig ein. Offenbar missfiel ihm der Gedanke an die Konkurrenz.
    Ob er eine Vorstellung habe, in welche?
    »Nein.« Er wandte sich ab. »Bitte entschuldigen Sie, aber ich habe mit meiner eigenen Kirche genug zu tun. Von anderen Kirchen weiß ich nichts.«
    Ich zog rasch mein Notizbuch aus der Tasche, kritzelte meinen Namen, die Adresse der Pension und die Nummer des dortigen Telefonanschlusses auf ein Blatt und riss es heraus. »Hier, bitte. Falls sich Dimitri doch blicken lassen sollte, könnten Sie ihm das geben? Es ist wirklich sehr, sehr wichtig.«
    Er nahm den Zettel und nickte. »Gut. Das kann ich machen. Wenn er kommt.«
    »Genau.«
    Auf dem Weg zurück stellte ich fest, dass der große, rote, markante Ziegelbau an der Ecke Birger-Jarlsgatan und Odengatan die griechisch-orthodoxe Kirche war! Unmöglich, dass der russische Pfaffe die nicht kannte; sie war keine dreihundert Meter von ihm entfernt. Warum hatte er dann behauptet, er wisse nichts von einer anderen orthodoxen Kirche?
    Einen Moment lang war ich versucht, zurückzugehen und ihn deswegen zur Rede zu stellen. Doch dann sagte ich mir, dass das nichts bringen würde. Wenn Dimitri sich in der russisch-orthodoxen Kellerkirche nicht mehr sicher fühlte, würde er wohl kaum stattdessen in diesem praktisch nicht zu übersehenden Gotteshaus in der gleichen Straße Zuflucht suchen.
    Wäre ja auch zu einfach gewesen.
     
    So war ich also, nach einem kurzen Ausflug in die herrlichen Gefilde schöner Träume, wieder auf dem schmutzigen Boden der Realität angelangt. Verflucht aber auch. Ich ging bei Rot über die Straße und wurde trotzdem nicht überfahren, nur angehupt, na schön, auch recht. Fick dich selber. Ich ging weiter, einfach drauflos, am Auto vorbei, der Nase nach. Sollten sie doch gucken, die Leute in ihren Pelzmänteln, in ihren dicken Plastik-Winterparkas, sollten sie mich anstieren in meinem dünnen roten Overall, durch den der Wind schnitt. Scheiße, ja, es war kalt. Die Oberfläche meiner Haut schien zu gefrieren. Es ging mir durch und durch, aber ich konnte einfach nicht aufhören zu gehen, die Straßen entlangzustapfen, getrieben von einer Wut, die in mir brannte, die die Kälte außen brauchte, damit ich nicht in Flammen aufging. Eine unbändige Wut auf diese Welt, die mich unterkriegen wollte, in der sich alle verschworen hatten, mich auszulöschen, mich und meine Familie. Mit Inga hatten sie es schon geschafft: Weg war sie, verscharrt, und niemand war schuld. Was Kristina anbelangte, waren sie schon gut dabei. Nur ich war noch übrig. Ich allein.
    Aber ich würde es ihnen schwer machen. Mich würden sie nicht kriegen, oder jedenfalls nicht so leicht. Nicht ohne selber zu bluten. Ich würde ein paar von ihnen mitnehmen, das stand fest.
    Und irgendwann, o Wunder des Unbewussten, stand ich im Humlegården, dem Park vor der alten königlichen Bibliothek. Entlang der Längsseite der schneebedeckten Grünfläche verlief die Sturegatan, die Straße also, in der die Nobelstiftung ihren Sitz hat.
    Das war ja mal interessant. Unwillkürlich musste ich lächeln. Es tat gut zu spüren, dass ich mich auf meinen Instinkt noch verlassen konnte. Zweifellos wollte mir dieser scheinbare Zufall etwas sagen. Ich schlang die Arme um mich, rieb meine Schultern und ging Richtung Straße.
    Bilder des Hauses, in dem die Nobelstiftung ihren Sitz hat, hatte ich natürlich schon gesehen. Wer nicht? Ein großes, schmales Gebäude in grauem Stein, klassizistisch und ehrwürdig. Aber ich war noch nie im Leben hier gewesen, hatte noch nie davor gestanden. Eigentümlich, wie viel weniger beeindruckend es wirkte, wenn man es in Wirklichkeit sah.
    Sturegatan 14. Kein Schild, nur

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