Der Nobelpreis
hatten Fenster – bloß sah man leider nur winzige Ausschnitte, Stromleitungen, Mauern, Dachfirste oder den verhangenen Himmel. Aber es schien einen Innenhof zu geben. Wenn überhaupt, dann musste ich mir von dort aus den Weg ins Innere der Stiftung bahnen.
Weiter die Brahegatan hoch stand ein Hoftor offen. Jemand fuhr mit einem Lieferwagen heraus und davon und ließ es, wie es war. Ich ging hinein, setzte für alle Fälle schon mal mein doofstes Gesicht auf. Wenn mich jemand anhielt, würde ich nach der Schreinerei Johansson suchen, ganz einfach.
Ich kam auf einen Parkplatz. Ich betrachtete die Häuser ringsum. Sie hatten Balkone, auf denen teilweise Wäsche zum Trocknen hing – mitten im Winter, man denke! – und versuchte mich zu orientieren. War ich hinter dem Kino? Wohnte da noch jemand oben drin? Auf jeden Fall gab es hier einige Hintergebäude, die senkrecht zu den vorderen Häusern standen und mehr oder minder befenstert in den Innenhof hineinragten. Das Gebäude der Stiftung war jedoch nicht mehr auszumachen, dazu war ich schon zu weit weg.
Niemand sprach mich an, niemand hielt mich auf, es begegnete mir nicht einmal jemand. Die Schreinerei Johansson wanderte zurück in den Fundus allzeit bereiter Ausreden. Ich umrundete den Block vollends, und gerade als ich von oben her kommend wieder vor der Stiftung anlangte, sah ich etwas, das meinen Instinkt »Klick« machen ließ. Das Haus mit dem marokkanischen Reisebüro wies noch einen weiteren Zugang auf, eine schmale, dunkle Tür, direkt neben der Fassade der Nobelstiftung. Das Schloss sah sehr gewöhnlich aus. Eine verblichene Aufschrift, halb verdeckt von Graffitis und den Resten aufgeklebter Plakate, entzifferte ich als TILL KÖKET, »zur Küche«.
Das hatte etwas zu sagen, ich wusste nur noch nicht, was. Meine klammen Finger angelten nach einem Pick. Ein beiläufiger Blick umher: Niemand beachtete mich, soweit man das sehen konnte. Das Schloss sah nicht nur gewöhnlich aus, es war es auch – ich hatte es im Nu offen.
Die Tür quietschte, als ich sie aufmachte. Es roch abgestanden und muffig. Ein Flur führte in den Hintergrund des Hauses. Ein Lichtschalter an der Wand bewirkte nichts. Vor einem Schaltkasten hing ein großes Spinnennetz, das schon Staub angesetzt hatte. Wie es aussah, war der letzte rege Verkehr durch diese Tür lange her.
Gut. Vielleicht ließ sich herausfinden, wie dick die Wand zum Nachbargebäude war. Ich schloss die Tür wieder und brachte ein wenig Distanz zwischen mich und den künftigen Tatort. Das war alles sehr inspirierend. Ein paar fehlende Informationen, und natürlich ein Sack voll Gerätschaften, die ich besorgen musste, aber dann … Diese Phase liebe ich am meisten. Sie ist intellektuell am reizvollsten: Wenn sich der Plan formt, wenn man Möglichkeiten im Geiste durchspielt, an kniffligen Problemen tüftelt und herausfindet, wie unüberwindliche Hindernisse doch zu überwinden sind.
Hans-Olof, fiel mir ein, musste das Gebäude der Stiftung kennen. Zwar war die Stiftung nach dem, was er erzählt hatte und was ich über den Auswahlprozess wusste, kein ständiger Treffpunkt, nicht einmal ein regelmäßiger, aber immerhin war mein Schwager einer von nur fünfzig Abstimmungsberechtigten für den Medizin-Nobelpreis. Da würde man ihn ohne Zweifel das eine oder andere Mal in die Räume hinter dieser Fassade eingeladen haben …
Aber nein, das war zu riskant. Hans-Olof war inzwischen mit den Nerven am Ende. Der Nobelpreis war immer sein Heiligtum gewesen, sein Glaubensinhalt, sein Gral. Ein Vorhaben wie das, in die heiligsten Hallen seiner heiligsten Institution einzudringen, konnte genau der Tropfen sein, der das Fass zum Überlaufen brachte. Das durfte ich nicht riskieren. Wenn ich das durchziehen wollte, musste ich es vor Hans-Olof verheimlichen.
Ach je, da fiel mir ein … Hans-Olof!
Ich fasste in die Tasche, holte das Telefon heraus. Ich hatte völlig vergessen, es wieder einzuschalten. Mit klammen Fingern drückte ich daran herum, langsam, um bei der Eingabe der PIN-Nummer nichts falsch zu machen. Ich war eben immer noch ein Fossil, ein Überbleibsel aus einer grauen Urzeit, in der nicht jeder seinen eigenen Telefonanschluss in der Hosentasche gehabt hatte.
Na klar, wie ich befürchtet hatte. Es lägen 24 Mitteilungen auf meiner Mailbox vor, teilte mir das Display zur Begrüßung mit. Die Mailbox – wie rief man die noch mal ab? Das Handbuch lag natürlich in meinem Nachtisch in der Pension. Ich tastete mich
Weitere Kostenlose Bücher