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Der Nobelpreis

Der Nobelpreis

Titel: Der Nobelpreis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Eschbach
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auf dem Tisch ist frischer Kaffee«, erklärte sie, als wäre nichts gewesen. »Und wenn du gehst, bitte die Tür fest hinter dir zuziehen, okay?«
    Ich blinzelte. »Wieso, wohin gehst du?«
    »Ich bin Lehrerin, Schätzchen. Ich muss arbeiten.«
    Ich deutete auf das Bild. »Wer ist denn das da?«
    Ein Ausdruck glitt über ihr Gesicht, den ich nicht zu deuten vermochte. »Mein Ex-Mann«, sagte sie nur und sah auf ihre Armbanduhr. »Ich muss. Mach’s gut.«
    Damit ging sie. Ich hörte, wie die Wohnungstür ins Schloss fiel, noch ein paar Schritte im Treppenhaus, dann war Stille. Ich drehte mich um, betrachtete das Gesicht des Mannes auf dem Foto und versuchte zu ergründen, was hier eigentlich vor sich ging. Ihr Ex-Mann? Wieso hatte sie das Bild eines Mannes über ihrem Bett hängen, von dem sie geschieden war? War das ein bizarrer Racheakt? Schau ruhig zu, wie ich mit anderen Männern ins Bett gehe?
    Ich stieg aus dem Bett mit dem unguten Gefühl, nur benutzt worden zu sein.

KAPITEL 35
    Aber wie sagt man so schön? Selbst schlechter Sex ist guter Sex. Ich fühlte mich gut, als ich geraume Zeit später zurück in die Stadt fuhr, geduscht und mit einem Frühstück im Bauch. Es hatte mir trotz aller seltsamen Begleitumstände gut getan – der Sex, und vielleicht noch mehr, dass ich endlich einmal wieder richtig lang geschlafen hatte.
    Es hatte aufgehört, unentschlossen zu schneien. Dafür war es deutlich kälter als die Tage zuvor. Die Heizung des Autos lief auf vollen Touren, kam aber nicht gegen die hereinkriechende Kälte an. Ein gleichmäßiger, unerbittlicher Wind pfiff in den Straßen, zerrte an den dürren Gerippen der Alleebäume und blies einem die Wärme aus dem Leib.
    Dass es an dem Wind lag, hätte ich nicht beschwören können, aber auf alle Fälle fühlte ich mich wie frisch durchlüftet.
    Und mir war eine Idee gekommen, wo ich eine Spur von Dimitri finden konnte.
     
    Die russisch-orthodoxe Kirche von Stockholm befindet sich in der Birger-Jarlsgatan, und man muß schon wissen, wonach man sucht, sonst übersieht man sie. Es war Jahre her, dass ich Dimitri einmal hier abgesetzt hatte, deswegen wusste ich es, aber ich musste die Straße trotzdem zweimal auf und ab fahren, ehe ich sie wiederfand.
    Besagte Kirche befindet sich nämlich im Keller eines Wohnhauses, das zwischen einem Fahrradgeschäft und einem Zeitschriftenladen liegt. Es gibt einen Zugang vom Gehweg her, ein armseliges, hölzernes Portal mit einem hellgrünen Gitter davor, kleiner als der eigentliche Hauseingang und verzweifelt an eine hergerichtete Kohlenschütte erinnernd. Darüber hat man das komplizierte orthodoxe Kreuz in Gold auf blauem Grund auf den Verputz gemalt, und neben dem Zugang hängt ein Schaukasten mit Bekanntmachungen der Gemeinde und den Terminen der Gottesdienste.
    Ich wollte auf dem Behindertenparkplatz direkt davor parken, aber jemand kam mir zuvor, der genauso wenig behindert war wie ich selbst. Nun ja, die Welt ist schlecht. Und die Parkplatznot groß, jedenfalls musste ich weit fahren, ehe ich mein Auto stehen lassen durfte.
    Dimitri, das war mir wieder eingefallen, war nämlich unheilbar religiös. Selbst wenn er untergetaucht war, würde er trotzdem das Bedürfnis haben, sonntags in die Kirche zu gehen. Mit anderen Worten, es bestand die Chance, dass ich hier seine Spur fand oder zumindest eine Möglichkeit, ihm eine Nachricht zukommen zu lassen.
    Es gelang mir, den Priester herauszuklingeln, einen asketisch wirkenden Mann mit Segelohren und einem löchrigen, aber vermutlich beruflich unabdingbaren Vollbart. Ich erklärte ihm mein Anliegen. Ja, meinte er nach einigem Zögern und mit deutlichem russischem Akzent, er erinnere sich gut an Dimitri. Aber er wollte ihn schon seit langem nicht mehr gesehen haben.
    Wie lange genau, fragte ich. Das wisse er nicht, behauptete der fromme Mann, aber auf mein Nachbohren rückte er schließlich doch mit einer Zeitangabe heraus, die ungefähr mit dem übereinstimmte, was Leonid mir erzählt hatte.
    »Ich muss Dimitri unbedingt sprechen«, erklärte ich. »Es ist eine Frage von Leben und Tod.« Wahrscheinlich deckte der Priester ihn, jedenfalls gingen seine bronzenen Augen die ganze Zeit unruhig hin und her und schienen das grobe Pflaster des Gehwegs höchst interessant zu finden.
    »Aber ich weiß nicht, wo er ist«, wiederholte er. Er hatte eine irritierende Art, sich mit dem Daumen der einen Hand den Handteller der anderen zu reiben. Wollte er womöglich bestochen

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