Der Nobelpreis
fuhr weiter, überfuhr dunkelgelbe Ampeln, wie er es noch nie im Leben getan hatte – außer einmal. Aber daran wollte er jetzt nicht denken, nur fahren, und schnell. Vielleicht hatte er noch eine Chance, seinen Fehler wieder gutzumachen.
Endlich die Schule. Das große gelbe Backsteingebäude lag schrecklich ruhig da, still und verlassen, die riesigen Fenster dunkel wie erloschene Augen, kein einziges Kind war zu sehen. Ein Blick auf die Uhr, ja, der Unterricht war schon zu Ende. Aber so leer war es hier sonst um diese Zeit trotzdem nie.
Hans-Olof parkte auf dem Behindertenparkplatz direkt neben dem Haupteingang, ließ den Wagen unverschlossen und hastete die breite, flache Treppe hinauf. In der Eingangshalle war es dunkel und ruhig wie in einem Mausoleum, und es roch auch so, nach Staub und Chemikalien. Er eilte auf das Sekretariat zu und riss die Tür auf, ohne anzuklopfen.
Eine Frau, die an ihrem Schreibtisch stand und dabei war, Sachen in eine Tasche zu packen, schrak zusammen. » Gott, haben Sie mich erschreckt!« Sie bedachte ihn mit einem entrüsteten Blick und hob ein Buch vom Boden auf, das ihr aus der Hand gefallen war.
Hans-Olof sah sich um. Aktenschränke, Regale, stapelweise Briefkörbe und zwei leere Stühle vor dem langen Schreibtisch, der den Raum teilte. »Wo ist meine Tochter?«
»Ihre Tochter?«, fragte die Frau mit finsterem Blick.
»Kristina. Kristina Andersson.«
»Und was soll mit ihr sein?« Sie sprach sehr undeutlich, so, als würde ihr für jedes klar verständliche Wort Geld vom Gehalt abgezogen.
»Sie sollte doch hier auf mich warten!«
»Hier wartet niemand.«
Ein Gefühl nahenden Unheils, das sich in den letzten Minuten irgendwo tief unten in seinem Bauch zusammengebraut hatte, überschwemmte ihn und wandelte sich in blanke Panik.
»Wieso nicht?«, rief er und spürte, dass seine Stimme bebte.
»Ich habe Sie doch angerufen und Sie gebeten, meiner Tochter auszurichten, dass –«
»Mich?«, versetzte sie. »Mich bestimmt nicht. Ich war bis eben beim Zahnarzt.« Sie betastete ihr Kinn. »Ich bin immer noch völlig betäubt. Alle fünf Minuten muss ich mich vergewissern, dass mein Unterkiefer noch da ist.«
Hans-Olof sah sie entgeistert an. »Und mit wem habe ich dann telefoniert?«
»Keine Ahnung.«
»Sie müssen doch wissen, wer Sie vertreten hat!«
Sie hatte endlich all ihre Habseligkeiten beisammen und schloss die Tasche. »Das hat die Rektorin organisiert. Aber die ist nicht mehr da. Die Lehrer sind heute Nachmittag alle auf einer Fortbildung.«
Hans-Olof fühlte, wie ihm der Schweiß ausbrach. »Das darf doch nicht wahr sein«, stieß er hervor. Das andere Telefon. Die Frau, mit der er telefoniert hatte, hatte das andere Telefon abgehoben und ihn völlig vergessen.
Er ließ die Sekretärin ohne ein weiteres Wort stehen und stampfte zurück zum Auto.
Kristina konnte zu Hause sein. Sie konnte, da man ihr seine Nachricht nicht überbracht hatte, einfach nach Hause gegangen sein und von nichts ahnen. Ja, bestimmt war es so. Vielleicht. Hoffentlich.
Er warf sich ins Auto, setzte zurück, gab Gas. Eine Frau, die hundert Meter weiter gerade mit ihrem Hund die Straße überqueren wollte, tat eilig einen Schritt rückwärts und zerrte heftig an der Leine, nicht ohne ihn mit einem wilden Blick zu strafen, als er vorbeifuhr.
Es war ihm völlig egal. Sollte sie ihn doch hassen.
Zu Hause angekommen, erschrak er darüber, wie leblos sein Haus wirkte. Oder bildete er sich das nur ein? Selbst die Hand voll Birken, die das Haus umstanden, sahen magerer aus als sonst.
Er stieg aus. Noch war alles möglich. Noch konnte alles Einbildung gewesen sein. Noch. Er zögerte, den Schlüssel ins Schloss zu stecken, weil das Gewissheit bedeutete, aber dann tat er es doch.
Drehte ihn herum, ganz, und damit stand fest, dass Kristina nicht zu Hause war.
Mit einem jämmerlichen Gefühl schloss er vollends auf und ging hinein. Alles war totenstill – natürlich, wenn sie nicht da war. Normalerweise lief, wann immer er nach Hause kam, irgendein lärmerzeugendes Gerät – ihre Stereoanlage, der Fernseher, das Radio in der Küche –, und zwar auf vollen Touren, unüberhörbar. Trotzdem ging er in ihr Zimmer, um sich zu vergewissern, und natürlich lag es so still und unaufgeräumt da, wie sie es heute Morgen verlassen hatte.
Eine Möglichkeit gab es noch. Er kramte die Liste mit den Telefonnummern ihrer Klassenkameraden heraus, ging zum Telefon und rief Sylvia Wiklund an, das Mädchen, das
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