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Der Nobelpreis

Der Nobelpreis

Titel: Der Nobelpreis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Eschbach
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es keine Hilfe. Er war auf sich allein gestellt.
    »Hat sich erledigt«, murmelte er und nahm die Hand wieder aus der Tasche.
    »Wie bitte?«, fragte der junge Polizist.
    Hans-Olof trat langsam einen Schritt von der Theke weg.
    »Ich, ähm, habe es mir anders überlegt«, sagte er. »Entschuldigen Sie die Störung.« Er wandte sich ab, ging zur Tür und musste an sich halten, nicht zu rennen.
    »Hallo, so einfach geht das aber nicht …«
    Die Tür war zu! Versperrt. Hans-Olof begriff jäh, dass man aus diesem Raum nur herauskam, wenn jemand auf der anderen Seite des Tresens einen Schalter drückte, der die Tür freigab. Er war gefangen!
    »Ich muss gehen«, rief er und rüttelte an dem massiven Türgriff. »Lassen Sie mich hinaus.«
    »Hören Sie«, sagte der junge Polizist, »so geht das nicht. Erpressung ist ein Kapitalverbrechen. Wir sind verpflichtet, entsprechenden Hinweisen nachzugehen.«
    Sah der Fischäugige schon herüber? Nein. Er hatte seinen Apfel fertig gegessen, drehte sich gerade weg und warf den Butzen irgendwohin, in einen Abfalleimer vermutlich. »Ich habe keine Hinweise«, sagte Hans-Olof. »Ich habe mich geirrt. Einfach geirrt. Machen Sie die Tür auf!«
    Der junge Mann blieb ebenso freundlich wie hartnäckig. »Tut mir Leid, ich fürchte, das kann ich nicht –«
    In diesem Moment öffnete jemand die Tür von außen, ein großer, unförmiger Polizist mit Walrossschnauzbart und begriffsstutzigem Blick. Hans-Olof reagierte sofort, riss die Tür auf und drängte sich an dem dicken Mann vorbei. »Na, wohin so eilig?«, stieß der überrascht hervor, die Codekarte noch in der erhobenen Hand, aber er gab den Weg frei, und Hans-Olof stürmte an ihm vorbei, ohne ihn eines weiteren Blickes zu würdigen.
    Geschrei brandete hinter ihm auf, ein Durcheinander von Stimmen. Nicht stehen bleiben, ermahnte er sich. Nicht umsehen. Und nicht rennen!
    Schritte, Rufe, quietschende Absätze auf blankem Marmorboden. Da war eine Ecke, an der er abbiegen konnte. Eine Tür, wie gerufen. Eine Toilette. Hinein. Dunkel war es darin, schwarze Nacht, als er die Tür hastig schloss und sich gegen die Wand presste und darauf wartete und hoffte, dass die Schritte kommen und vorbeigehen würden.
    Doch sie kamen nicht.
    Hans-Olof lauschte, aber er hörte nichts. Konnte es sein, dass die Mauer so dick, die Tür so schalldicht war? Nichts. Nur Stille und Dunkelheit und sein eigener Atem.
    Er tastete nach dem Lichtschalter, drückte drauf. Zwei Neonröhren flackerten auf, rissen zwei Waschbecken, weiße Kacheln und graue Trennwände aus der Schwärze. An der Innenseite der Tür war ein Zettel festgeklebt, auf dem in großen Buchstaben stand: Licht bitte nicht ausschalten! Und in kleinerer Schrift darunter war erklärt: Liebe Kollegen, das Ein- und Ausschalten der Leuchtstoffröhren verbraucht mehr Energie, als sie rund um die Uhr brennen zu lassen, und verkürzt zudem ihre Lebensdauer. Denkt an die Umwelt, und schont diesen Lichtschalter!
    Hans-Olof betrachtete sich im Spiegel. Er erschrak über sein Aussehen. Himmel, er war einundfünfzig! Das war weiß Gott nicht mehr das Alter für solche Dinge.
    Draußen war immer noch alles still. Was hatte das zu bedeuten? Standen sie schon vor der Tür? Warteten sie nur, dass er herauskam? Hatten sie womöglich Waffen schussbereit im Anschlag?
    Er griff nach der Türklinke, zog die Tür auf, vorsichtig, um nichts zu provozieren.
    Da war niemand.
    Doch, da, eilige Schritte. Hans-Olof fuhr herum und sah eine Frau in hochhackigen Schuhen den Gang entlangkommen, den Blick konzentriert auf das Display ihres Mobiltelefons gerichtet. Sie schien eine SMS zu lesen, jedenfalls lächelte sie verhalten. Als sie an ihm vorbeikam, warf sie ihm nur einen flüchtigen, desinteressierten Blick zu und ging weiter.
    Die Toilettentür drückte ihm sanft gegen den Rücken, als wolle sie ihn hinausschieben. Hans-Olof langte geistesabwesend nach dem Lichtschalter, dachte dann aber an die Umwelt und ließ das Licht brennen. Die plötzliche Stille irritierte ihn. Sie war beunruhigender, als es jede Verfolgungsjagd hätte sein können. Sie schien zu bedeuten, dass die schlimmen Dinge anderswo passierten.
    Und er ahnte auf einmal, wo. Gütiger Himmel, und wie er es ahnte!
    Nur weg von hier, rasch. Er eilte die Treppen hinab, zum Parkplatz, zum Auto. Ließ mit bebenden Händen den Motor an, und als er hinaus auf die Straße bog, hörte er Bremsgeräusche und wütendes Hupen hinter sich. Egal, er schaute sich nicht mal um,

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